Ihr Kriegt Mich Nicht!
hintere Tür, drückten ihn hinein und fuhren davon. Mik rannte hinaus und sah den Wagen verschwinden. Sah, wie die roten Rücklichter sich mit all den übrigen roten Rücklichtern im Berufsverkehr vermischten.
Warum hatten sie ihn mitgenommen? Das begriff er nicht. Er wurde von Leuten herumgeschubst, die im Regen nach Hause hetzten, und begriff gar nichts.
Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen. Er lag auf dem Küchenboden. Auf dem Tisch standen eine leere Schnapsflasche und mehrere Bierdosen. Aus einer Wunde an der Schläfe sickerte Blut. Er hatte sich den Kopf am Fensterbrett angeschlagen und die Blumentöpfe und den Vorhang mitgerissen. Mik holte ein Kissen und eine Decke. Deckte ihn zu, hob seinen Kopf und schob das Kissen darunter. Sein Vater öffnete die Augen.Ein schwarzer Blick. Als wäre nichts dahinter, nur Schwärze und Leere.
»Du«, sagte er. »Hörst du die Musik?«
»Nein.«
»Das ist der Herd. Hörst du, wie er spielt?«
»Papa, da ist keine Musik. Der Herd kann keine Musik spielen.«
Mik bekam Angst. Er sah den Herd an, konnte aber nichts hören. Sein Vater zitterte, fröstelte unter der Decke.
Tony musste kommen. Tony wusste, was zu tun war. Sie mussten …
Die Türglocke läutete. Das ist Tony. Das muss Tony sein. Er hat die Schlüssel vergessen. Es muss … er hat … Mik stürzte zur Tür und riss sie auf, und draußen standen die fremden Leute. Die Frau mit den Papageiohrringen und der Mann mit dem Goldzahn.
»Hallo, bist du Mik?«
Er versuchte, die Tür zuzuziehen, doch der Goldzahn hielt den Türgriff fest.
»Wir kommen vom Sozialamt. Ich heiße Linda, und das hier ist Kent«, sagte die Frau mit den Papageiohrringen.
Mik sah sie an. Was wollten die?
»Ist dein Vater da?«
»Nein«, sagte Mik. »Er macht Überstunden.«
»Aber er ist doch arbeitslos.«
»Nein, er fährt einen Gabelstapler.«
Aus der Küche drang Geklapper. Ein Stuhl fiel um.
»Ich will keine Musik hören. Mach die Musik aus. Bitte, hilf mir! Mach sie aus …«
Die Papageienfrau trat in den Flur.
»Ist das dein Vater, der …«
»Er ist erkältet«, sagte Mik.
Die fremden Leute gingen in die Küche. Sein Vater kroch ein Stück weit über den Boden und sank dann zusammen.
»Noch erkälteter kann man kaum werden«, sagte der Goldzahn und ging neben Miks Vater in die Hocke.
Dann redeten sie abwechselnd auf Mik ein.
»Wir sind hier, um dir zu helfen.«
»Dein Vater erhält auch Hilfe, er ist sehr krank.«
Sie riefen einen Krankenwagen.
»Wir können dich schon jetzt in einem Heim unterbringen. Willst du das?«
»Nein«, sagte Mik. »Ich wohne hier.«
»Kannst du heute Nacht hier schlafen?«
»Ich hab schon immer hier geschlafen.«
Der Mann und die Frau sahen sich an.
»Aber du darfst gern mitkommen. Hier wird’s sonst … vielleicht ein bisschen einsam.«
»Nein, mein großer Bruder kommt bald, er ist fast siebzehn und …«
Der Krankenwagen war schnell zur Stelle. Zwei grün gekleidete Männer mit einer orangenen Trage. Sie hievten Miks Vater hinauf, brachten ihn in eine halb sitzende Stellung und deckten ihn mit einer gelben Decke zu, auf der Eigentum der Städt. Kliniken stand.
»Kommst du heute Abend auch ganz bestimmt klar?«
»Ja, Tony kommt bald.«
»Wo ist er denn jetzt?«
»Er … ist bestimmt beim Fußballtraining.«
Die Papageienfrau wollte Mik dann doch lieber gleich mitnehmen, aber er weigerte sich und schloss sich in seinem Zimmer ein. Sie schoben einen Zettel unter der Tür durch, mit einerTelefonnummer, die er anrufen konnte, wenn etwas sein sollte. Mik horchte an der Tür.
»Kommst du heute Abend wirklich zurecht? Hast du was zu essen im Haus?«
»Ich hab schon gegessen, und Tony ist bald da.«
»Deine Familie bekommt Hilfe. Alles wird gut. Das hier werden wir schnell geregelt haben.«
Sie gingen.
In der Wohnung wurde es still und leer. Mik machte alle Lichter an. Sogar die im Klo und im großen Wandschrank. Aber die Schlange war aufgewacht. Mik schaltete sowohl das Radio als auch den Fernseher ein.
Tony würde sich aufregen.
Er sollte keine fremden Leute in die Wohnung lassen. Aber genau das hatte er getan, und jetzt hatten sie Papa ins Krankenhaus gebracht. Er holte ein großes Kissen, legte sich vor den Fernseher und überlegte, ob das gut war oder schlecht. Jedenfalls war irgendwas Großes passiert, aber was, das wusste er nicht. Wen hatte er da reingelassen? Und was würde jetzt passieren?
Er wollte keinen von Tonys Horrorfilmen anschauen. Stattdessen
Weitere Kostenlose Bücher