Ihr Kriegt Mich Nicht!
vereinzelte Häuser auf, manchmal auch ganze Höfe. Die Bebauung nahm zu. Sie erreichten eine größere Stadt. Dort stieg er in einen anderen Bus um. Der Busfahrer half ihm, den richtigen zu finden. Die Stadt lag an der Küste, von jetzt an würde Mik endlos weit ins Landesinnere fahren. Der Bus, in den er umstieg, war alt und klapprig und roch schlecht. Außer Mik fuhren nur wenige Fahrgäste mit.
Wald, Wald, Wald.
Nach zwei Stunden Fahrt auf holpriger Straße wurden zwischen den Bäumen Häuser sichtbar. Keine großen Häuser. Keine Mietshäuser. Hübsche kleine Häuser mit Hüten aus Schnee. Die enormen Schneewälle seitlich der Straße waren unglaublichweiß. Noch nie hatte er so viel Winter gesehen. Zentrum stand auf einem Schild.
Der Bus bog auf einen kleinen Platz zwischen einem Konsumladen und einem ICA-Supermarkt ein.
Auf dem Platz standen ein paar Menschen und warteten neben ihren in der Kälte rauchenden Autos. Sie waren vier, die ausstiegen, Mik und zwei Frauen und ein junger Mann in Uniform mit einem riesigen Rucksack.
Es war kalt, fürchterlich kalt, der Schnee knarrte unter den Schuhen. Mik sah sich auf dem Platz um, doch da war niemand, der seine Tante hätte sein können. Der Busfahrer öffnete die Gepäckluke und reichte Mik die Tasche. Die Frauen und der junge Mann wurden von den Leuten umarmt, die gekommen waren, um sie abzuholen. Sie lachten und sagten: »Na, das ist lange her!«
»Wie war die Reise?«
»Habt ihr Schnee gehabt in Stockholm?«
»Gibt’s was Neues im Dorf?«
»Was könnte das schon sein?«
Die Abholer packten das Gepäck der Reisenden in ihre Autos und fuhren davon. Auch der Bus fuhr weiter. Mik stand ganz allein auf einem verschneiten Platz in einem verschneiten Dorf und sah das grüne Konsumschild an. Dann wandte er den Blick in die andere Richtung und studierte eine Zeit lang das rote ICA-Schild. Die Minuten wurden zu einer Viertelstunde. Die Kälte kroch ihm durch die Sohlen in die Turnschuhe und hinauf in die Füße. Miks Knie begannen zu zittern. Die Kälte wanderte weiter nach oben, durch den Bauch, und traf auf die Kälte, die durch den Kopf nach unten gedrungen war. Mik begann am ganzen Leib zu zittern. Ein alter Mann kam auf einem Tretschlitten angefahren. Auf dem Sitz stand eine Kiste voller Hechte.
»Auf wen wartest du denn?«, fragte der Alte, der eine dicke rote Nase hatte und buschige Augenbrauen, die in der Mitte zusammenwuchsen.
»Auf meine Tante.«
»Deine Tante?« Der Alte sah sich auf dem menschenleeren Platz um. »Bist du mit dem Bus gekommen?«
»Ja.«
»Dann bist du vielleicht am falschen Tag gekommen.«
Der Alte stellte seinen Tretschlitten vor dem Konsumladen ab, nahm die Hechtkiste und ging hinein.
Am falschen Tag, dachte Mik. Ich kann gar nicht am falschen Tag gekommen sein. Ich bin heute gekommen. Wann hätte ich denn sonst kommen sollen? Ich weiß ja nicht mal, wohin ich gekommen bin. Ich weiß nichts.
Er trat auf der Stelle, um warm zu werden. Der Alte kam mit einer leeren Kiste heraus, stellte sie auf den Tretschlitten und fuhr davon. Ein paar Kinder in Miks Alter rannten über den Platz, mit flatternden Plastikschlitten im Schlepptau. Sie blieben jäh stehen und starrten ihn an. Zwei Jungen und ein Mädchen. Im Gegensatz zu Mik trugen sie richtige Winterkleidung – Thermohosen, Steppjacken und Mützen. Sie blieben eine Weile stehen und glotzten. Mik hielt seine Tasche in der Hand und glotzte zurück. Es begann zu schneien.
»Mensch, hat der große Ohren!«, sagte einer der Jungen, der einen Rotzrand unter der Nase hatte.
»Und rote«, sagte der andere.
»Er friert«, sagte das Mädchen. Sie hatte lange dunkle Haare und ein großes tintenblaues Muttermal unterm rechten Auge.
»Wer ist das?«
»Ist wahrscheinlich mit dem Bus gekommen.«
»Und warum?«
Mik musste unwillkürlich das Muttermal anstarren. Es sah aus wie ein drittes Auge.
»Was guckst du so? Mein Muttermal? Das lass ich später wegoperieren.«
»Aha«, sagte Mik.
»Du«, sagte der Junge mit dem Rotzrand. »Lass du dir doch die Ohren wegoperieren.«
Lachend rannten sie in den Konsum, um kurz darauf mit Tüten voller Süßigkeiten wieder herauszukommen. Das Mädchen drehte sich als Einzige um und schaute ihn mit drei Augen an. Sie zupfte sich am Ohrläppchen und lächelte dabei. Mik holte sein Handy heraus und tat so, als würde er einen wichtigen Anruf beantworten.
Der Schnee fiel immer dichter. Ab und zu ging jemand zum Einkaufen in den ICA-Markt, ab und zu
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