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Ihr Kriegt Mich Nicht!

Ihr Kriegt Mich Nicht!

Titel: Ihr Kriegt Mich Nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Diese Trunkenbolde sind wirklich eine Plage. Und es werden immer mehr.«
    Ein Typ in einer Lederjacke schrie: »Schmeiß ihn endlich raus, damit wir weiterfahren können!«
    »Fahr endlich!«, riefen ein paar Mädchen von hinten.
    Fluchend und zeternd stieg der Betrunkene schließlich aus. Die Türen schlossen sich, und der Bus fuhr weiter. Die ganze Klasse begann zu tuscheln und zwischen den Sitzen hin und her zu flüstern. Einzelne kicherten. Ein paar lachten laut.
    »Was ist denn los mit euch?«, fragte Frau Lind und ließ den Blick von Schüler zu Schüler wandern.
    Das Gelächter verstummte. Niemand antwortete, aber manche grinsten und rollten mit den Augen, dann wurde wieder geflüstert.Frau Lind schüttelte den Kopf und schaute fragend in die Runde.
    »Was gibt’s da zu flüstern? Das war doch bloß ein Betrunkener.«
    »Das war Miks Vater«, sagte Stefan.
     
    Er hatte alles gehört, was gesagt und geflüstert wurde. Die Worte fuhren ihm wie Schreie durchs Gehirn, taumelten und prallten an die Schädelwand, sie weigerten sich anzuhalten, um sortiert zu werden. Es war, als hätte ihm jemand einen Quirl in den Kopf gerammt und gestartet. Sein Gehirn wurde zu rotem Matsch. Alles rotierte, bis er nur noch einen einzigen Heulton hörte. Und bis zur nächsten Haltestelle waren es tausend Jahre. Die Schlange rührte sich in seinen Eingeweiden. Der Bus hielt, die Türen gingen auf. Mik stürzte hinaus, und die Klasse presste die Nasen an die Scheiben.
     
    Stundenlang wanderte er ziellos durch den Regen. Es hatte als Schnee angefangen, aber jetzt regnete es. Die Leuchtreklame der Läden spiegelte sich im nassen Asphalt, kalte blaue Farben, bösartige grüne und wütende rote.
    Sollte er nach Hause?
    Das wollte er nicht.
    Sollte er …?
    Wohin sollte er, wenn nicht nach Hause? Alle gehen doch nach Hause.
    Er blieb beim Tabakladen stehen, rieb das schmutzige Fenster mit dem Handschuh und sah das Krokodil an. Im Tod hatte es ein echt beschissenes Leben. Hier herumzuliegen und sich in Sägespäne aufzulösen, während Busse und Autos vorbeidonnerten.
    Warum lag es überhaupt im Fenster? Das hatte er neulich schon fragen wollen.
    Mik trat in den Laden. Die Tabaksfrau saß hinter der Ladentheke auf einem Stuhl und rauchte eine Zigarette, die in einem langen, komischen Mundstück steckte. Sie blies Rauch an die Decke und sagte: »Fang nie mit dem Rauchen an. Das ist teuer und ungesund.«
    »Warum liegt das Krokodil im Schaufenster?«
    »Warum?« Sie sah ihn erstaunt an. »Warum? Das weiß ich nicht.«
    »Das wissen Sie nicht?«
    »Nein, muss ich das? Muss man alles wissen?«
    Darauf fiel Mik keine Antwort ein. Sie gab ihm ein paar Tafeln Schokolade, dann ging er.
     
    Mik wartete im Hauseingang auf Tony, der mit dem Bus von der Schule kommen sollte. Das Treppenhauslicht war ausgegangen. Er drückte nicht auf den roten Knopf, sondern blieb in der Dunkelheit stehen und sah durch die Glasscheibe der Haustür hinaus. Aß Schokolade und sah zur Haltestelle hinüber. Er fror in seinen nassen Kleidern, versuchte sich am Heizkörper zu wärmen und dachte: Wenn man ein Krokodil im Fenster hat, muss man wissen, warum.
    Busse kamen, und Leute stiegen eilig aus, um nach Hause zu hasten. Mik holte sein Handy heraus und überlegte, wen er anrufen sollte. Den Rektor vielleicht. Ihm sagen: Ich komm nicht mehr in die Schule, hab’s aufgesteckt. Oder den Mann in der babyblauen Steppjacke. Ihn um Entschuldigung bitten. Sagen, dass es keine Absicht war. Aber stimmte das so? War es tatsächlich keine Absicht gewesen? Wenn man jemandem einen großen, scharfen Stein an den Kopf wirft, muss man wissen,warum. Wusste er das? Mik dachte eine Weile darüber nach, den Blick immer auf die Bushaltestelle gerichtet. Er spürte die Kälte zwischen den einzelnen Rückenwirbeln und presste den Rücken noch fester an den Heizkörper. Befingerte die Tasten des Handys, hielt es ans Ohr: »Hallo, Entschuldigung!«
    Ein Polizeiwagen parkte am Gehweg. Zwei Polizisten saßen in dem Auto, sie machten das Innenlicht an und durchblätterten Papiere, dann schrieb der eine etwas in einen Block. Der 515 hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und ein Strom aus Menschen eilte vom Bus zum Bahnhof.
    Tony kam schräg über die Straße. Mik wurde froh. Sein großer Bruder. Sie würden zusammen kochen, Videospiele spielen, boxen.
    Die Polizisten stiegen aus dem Auto und hielten Tony an. Sie sprachen kurz mit ihm, dann führten sie ihn zum Auto, öffneten die

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