Ihr Kriegt Mich Nicht!
so schöne Frau allein leben?«
»Wir behandeln alle Kunden gleich, bei uns gibt’s keine Unterschiede«, sagte die Kassiererin.
»Und so eine ist Gemeindeschwester«, sagte die Frau und verstaute ihre Einkäufe in der Tasche. »Dass so was überhaupt erlaubt ist, versteh ich nicht.«
Mik nahm seine Tasche und ging auf den Platz hinaus. Er hatte sie wiedererkannt. Es war Lena, seine Tante. Als sie ihn erblickte, stürzte sie zu ihm her.
»Da bist du ja, tut mir leid, aber ich musste noch dringend nach Gustavsson schauen. Er ist ein verdammter alter Sturkopf, der sich weigert, das Gesundheitszentrum aufzusuchen, obwohl seine Zehen schon ganz blau sind.«
Sie ging in die Hocke und umarmte ihn fest. Mik erstarrte. Irgendwas passierte dabei in seinem Körper. Die Gelenke versteiften sich. Lena spürte es sofort.
»Ist wohl schon eine Weile her, dass jemand dich in den Arm genommen hat, was?«
Sie legte Mik die Hände auf die Schultern, schob ihn von sich und schaute ihm in die Augen. Dann lachte sie heiser.
»Hast du lange gewartet?«
Mik nickte bloß.
»Tut mir wirklich leid, aber ich hab’s nicht so mit Pünktlichkeit.«
Und dann wurde Mik noch einmal umarmt. Ihm wurde ganz schwindlig.
»Hüpf ins Auto, dann fahren wir. Es ist nicht weit. Aber vorher müssen wir noch bei Hilma haltmachen und ihr Medizin bringen.«
Im Auto roch es nach nassem Hund. Lena fuhr an, warf Mik einen Blick zu, zauste ihm das Haar und schlitterte um den Platz und auf die Straße hinaus, dass der Schnee nur so stob.
»Hast du einen Hund?«, fragte Mik.
»Nein, der ist letzten Winter ins Eis eingebrochen. Dieser dumme …«
Sie schüttelte den Kopf.
»Aha«, sagte Mik.
»Die Strömung hat ihn mitgerissen.«
Lena strich mit der Hand über den Sitz.
»Aber die Hundehaare verschwinden nicht.«
Mik schwieg, während sie durch das verschneite Dorf fuhren. Das Auto rasselte und klapperte, und der Keilriemen quietschte. Die Häuser standen wie zufällig verstreut im Schnee, aus den Schornsteinen stieg Rauch, und alle hatten himmelwärts gerichtete Parabolantennen. Sie bogen von der Straße ab und fuhren auf einen Hof vor einem großen gelben Haus. Nebender Treppe parkten zwei Schneescooter. In den Fenstern war Licht, und hinter den Vorhängen schauten Leute heraus.
»Hilma leidet an Altersdemenz und wird von ihren Verwandten versorgt. Manchmal haut sie ab. Gerade ist sie wieder mal draußen gewesen und hat sich unterkühlt. Jetzt hat sie’s auf der Lunge.«
Sie traten, ohne anzuklopfen, ins Haus.
»Hallo!«, rief Lena.
Mik versteckte sich hinter ihr.
Plötzlich stand das Mädchen mit dem Muttermal unterm Auge im Eingangsflur.
»Hallo, Pi«, sagte Lena. »Was macht die Oma?«
»Nervt.«
Das Mädchen namens Pi sah Mik an. Dann kamen noch mehr Leute in den Flur, Pis Eltern und die verwirrte Oma. Lena überreichte die Medikamente und erklärte, wie und wann sie eingenommen werden sollten.
»Das hier ist Mik«, sagte Lena und legte Mik die Hand auf den Kopf. »Er wird eine Zeit lang bei mir wohnen.«
»Tut bestimmt gut, eine Weile aus Stockholm rauszukommen«, sagte Pis Vater.
»Stockholm«, sagte die verwirrte Oma und klatschte sich auf die Knie. »Stockholm. Mord und Drogen, Mord und Drogen. Nichts als Elend.«
Sie sah aus wie ein Troll.
Pi zupfte sich am Ohrläppchen und lachte.
Mik rannte nach draußen und setzte sich ins Auto. Er hauchte das Fenster an. Sofort entstand Eis. Er schmolz es mit Hand. Hauchte noch einmal und schmolz es mit der Hand. Er hauchte Eis und versuchte zu denken, aber seine Gedanken froren ein und wurden ein einziger kalter Klumpen.
Und hier sollte er wohnen? Hier, wo alle verrückt zu sein schienen?
Lena öffnete die Autotür und warf ein Paar Stiefel auf den Rücksitz.
»Für dich. Pi sind sie zu klein geworden. In Turnschuhen kannst du hier nicht überleben.«
Lena fuhr langsamer und hielt mitten auf einer Brücke an.
»Komm, wir schauen uns den Fluss an. Er ist groß und mächtig und … Was soll ich sagen, er verleiht diesem Ort Leben.«
Mik hielt sich am Geländer fest und blickte nach unten. Die Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Das Wasser strömte schwarz und träge, in schweren, langsamen Wirbeln zwischen den schneeweißen Ufern. Von der Wasseroberfläche stieg eisiger Rauch auf. Es war, als würde die Brücke über dem Wasser einherfahren. Als würde er am Bug eines großen Schiffes stehen und hinunterschauen.
»Vorerst friert er noch nicht zu«, sagte Lena. »Aber
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