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Ihr Kriegt Mich Nicht!

Ihr Kriegt Mich Nicht!

Titel: Ihr Kriegt Mich Nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
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unten beim Selet, wo ich wohne, hat es schon Eis an den Ufern. Noch ein paar Frostnächte, und dann!«
    »Dass das Wasser überhaupt noch fließt, obwohl es so kalt ist«, sagte Mik.
    »Es fließt, weil es immer fließt. Sonst wäre es schon Eis.«
    »Da möcht ich nicht reinfallen.«
    »Dort hinten liegt die Schule. Siehst du sie? Das Haus, an dem wir vor der Brücke vorbeigefahren sind.«
    Sie deutete über den Fluss.
    »Das kleine Haus da?«
    »Ja«, sagte Lena. »Das ist deine Schule.«
    »Mir ist kalt.«
    Sie stiegen wieder ins Auto.
    »Zwölf Schüler, mit dir dreizehn.«
    »In der Klasse?«
    »Nein, in der ganzen Schule. Am Montag fängst du an.«
    »In meine Schule gehen vierhundert.«
    »Du bist jetzt weitab von der Welt, in einer gottverlassenen Gegend. Die Möbelfabrik hat dichtgemacht. Mit der Schule weiß man nicht, und der Konsumladen wird vermutlich im Frühjahr schließen. Ich frag mich, wo man dann einkaufen soll.«
    »Im ICA-Markt«, sagte Mik.
    »Hier kauft man entweder im Konsum ein oder bei ICA. Da gibt’s kein Hin und Her. Hier ist man ICA-Mensch oder Konsum-Mensch.«
    Lena lachte.
    Mik sah einen alten Mann in der Dunkelheit Holz hacken und einen bellenden Hund an einer Laufleine. Der Hund jagte auf die Straße hinaus und folgte dem Auto, bis die Laufleine mit einem Ruck endete. Mik sah durch die Heckscheibe, wie der Hund sich überschlug und auf dem Rücken landete. Bestimmt ist er gestorben, dachte Mik, so einen Ruck überlebt man nicht, das ist, wie wenn einer aufgehängt wird.
    »Das war der Hund vom alten Gustavsson. Er hält ihn an einer viel zu langen Leine, völlig unsinnig. Der Hund verfolgt die Autos und ist schon siebenmal überfahren worden. Inzwischen hat er einen Dachschaden und ist bissig. Er war mal ein richtig guter Hund, aber Gustavsson hat ihn ruiniert. Ich hab ihn ihm geschenkt. Er war ein Welpe von meinem eigenen.«
    »Der tot ist«, sagte Mik.
    »Ja, der tot ist.«
    Mik fand das gut, sagte es aber nicht.
     
    Sie bogen wieder auf einen Hof und hielten vor einem blauen Haus. Jedenfalls sah es in der Dunkelheit blau aus. Drei verschneite Schrottautos ohne Fensterscheiben und Reifen standen auf dem Hof. Einem fehlten die Türen, einem anderen die Motorhaube.
    »Hier wohne ich.«
    »Schön«, sagte Mik. »Viele Autos.«
    »Die kommen weg, aber vorläufig hol ich mir von ihnen Reserveteile, um diese Klapperkiste hier am Leben zu halten.«
    Mik nahm seine Tasche. Lena blickte in den Himmel.
    »Sternklar. Heute Nacht wird’s kalt. Minus fünfundzwanzig Grad. Wenigstens.«
     
    Er lag im Bett, einem Bett mit sauberen, ein wenig steifen, raschelnden Leintüchern, einer weichen Matratze, einer kühlen, schweren Decke und drei Daunenkissen. Es war so still, kein aufheulender Verkehr, keine ratternde Vorortbahn. Kein Videoladen, keine Pizzeria, keine Menschen, die auf der Straße herumlärmten. Nichts. Nur ein Bus, der donnerstags von hier abfuhr. Es war so still, dass er zum ersten Mal die Geräusche in seinem eigenen Kopf hörte. Ein schwaches Rauschen, wie wenn man in eine Muschel horcht. Im rechten Ohr gab es einen leisen, fast unhörbaren Ton, der leicht schwankte.
    Hatte es den schon immer gegeben?
    Er drehte sich auf die Seite, blaues Mondlicht erhellte das kleine Zimmer. Die Wände hatten dunkelrote, gemusterte Tapeten. Es war eine Dachkammer mit einem Bett, einem Schreibtisch, einem Stuhl und einer Kommode. Es roch gut.
    Er hatte es sofort gespürt, als er in Lenas Haus hereinkam. Sofort, als er in der großen Küche stand. Das hier war ein freundliches Haus, freundlich und unaufgeräumt. Überall lagen Bücherherum. Hohe Stapel, die einzustürzen drohten. Sie lagen auf dem Fußboden, auf dem Tisch, auf Regalen und in Kartons und Tüten. Hatte sie eine Bibliothek ausgeraubt? Lena wirkte irgendwie seltsam. Sie hatte keinen Fernseher, keinen Computer, nicht einmal Radio. Und selbstverständlich weder DVD noch Video. Nur Bücher.
    Wie konnte es nur so still sein?
    Er schlug die Decke zurück, glitt aus dem Bett und setzte sich ans Fenster. Der Schnee leuchtete blau und funkelte schwach im Mondschein. Lenas Haus lag auf einer Anhöhe. In der Ferne erhoben sich bewaldete Berge. Das Dorf lag in einem Tal, wo der Fluss einen See bildete, einen »sel«, daher der Name: Selet. So hießen der See und das Dorf. Aus den Schornsteinen stieg Rauch, aber die Fenster waren dunkel. Die Häuser schliefen, atmeten nur vorsichtig. Ein kleines Dorf und danach nur Wald, Wald, Wald. Die beiden

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