Ihr Kriegt Mich Nicht!
Bodenlumpen inne. Sah die braune Schmotze an.
Sich an alles gewöhnen?
Hatte er eine Gehirnwäsche gekriegt? Wie ein Kriegsgefangener in einem Lager. Hatte man ihn fertiggemacht? War er am Ende? Machte er alles mit? Hatten die Plagegeister ihn zerbrochen?
Mik setzte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken ans Gitter und sah eine nackte Lampe an der Decke an. Er dachte: Scheinhinrichtungen mit dem Gewehr.
Eingesperrt mit einem Nachttopf.
Kackschmiere und ekliges Essen.
War das Ganze geplant? Sollte er gebrochen und zu einem lallenden Idioten werden? War das der Plan? Aber wessen Plan? Und warum? Nachdenken war nicht gut. Davon wurde alles plötzlich viel schlimmer, als es bis vor Kurzem gewesen war. Er würde einen Brief schreiben und protestieren. Er würde an … ja, an wen eigentlich schreiben? An die Papageienfrau? An irgendeinen Paragrafen? An Tengil?
Er wischte die restlichen Käfige aus und lief dann zum See hinunter und badete. Er schob das Kanu ins Wasser, obwohl das verboten war, und paddelte weit hinaus. Es war warm, bestimmt der heißeste Tag des Sommers. Die Sonne brannte herab, und die Luft über der Wasseroberfläche flimmerte. Von den Ufern kam wildes Gelächter und fröhliches Geschrei, als Kinder von Stegen und Booten ins Wasser sprangen. Manche spielten mit Luftmatratzen, andere mit einem großen rot-weißen Badeball. Mik zog das Paddel ein, legte sich ins Kanu und schaute in den Himmel.
Vielleicht war er Krümel, der gar nicht in Nangijala gelandet war. Er war Krümel, der irgendwo in der Nähe der Hölle gelandet war. Wahrscheinlich war er damals bei dem Brand gestorben, und irgendwie war alles falsch gelaufen. Bei manchen, bei einigen wenigen Prozent lief es wahrscheinlich falsch. Und wo war Tony gelandet? Er beantwortete keine Briefe. Vielleicht konnten die ihn dort nicht erreichen, wo er war. Die weißen Tauben der Taubenkönigin waren die Einzigen, die durch alle Himmel fliegen konnten, ganz gleich, wie weit. Vom Kirschental bis ins weite Weltall hinaus. Aber mussten es Tauben sein? Und mussten sie weiß sein? Die Tauben in Solna waren grau und dreckig. Oder konnte man irgendeinen beliebigen Vogel nehmen? Und wie weit musste der Vogel fliegen? Wie weit war es bis zu Tony? Das konnte verdammt weit sein. Wenn ich schon tot bin, dachte Mik. Wenn ich im Tod schon tot bin. Und im Tod des Todes tot. Von Nangijala nach Nangilima nach …? Was kam danach? Kam überhaupt etwas danach? Nangolana, Nansilima, Nangra… wo bin ich überhaupt? Und warum hat Tengil es geschafft, überall schon vor mir anzukommen?
Mik paddelte zurück, zog das Kanu ans Ufer und kippte es um, damit es bei Regen nicht mit Wasser volllief. Ein Pferd schnaubte, dann hörte er Hufschläge. Louise kam zum Ufer geritten. Mik versteckte sich unterm Kanu. Sie sah ihn nicht. Das Pferd durfte frei grasen, während sie sich nackt auszog und ins Wasser ging. Mik konnte alles deutlich sehen und hielt die Luft an. Er hatte Angst, wollte fort und kroch zur Kanuspitze, um abzuhauen. Da kippte das Kanu scheppernd um. Louise fuhr herum und schrie. Sie kam aus dem Wasser gestürzt. Mik rannte los, aber sie war unglaublich schnell. Sie holte ihn ein und zog ihm die Reitpeitsche über den Nacken. Ein brennenderSchmerz zwang ihn auf die Knie. Dann folgte Peitschenhieb auf Peitschenhieb. Er kroch weg von ihr, und sie schlug ihn.
»Hör auf!«, wimmerte er. »Hör auf!«
Aber sie hörte nicht auf. Splitternackt, mit wahnsinnigen Augen hob sie ein ums andere Mal die Peitsche, Schlag um Schlag.
»Du verdammtes kleines Drecksschwein!«, fauchte sie. »Guck nur, wenn du so gern gucken willst. Du schmieriges kleines Ekel. Ihr seid alle gleich!«
Sie brach in Tränen aus. Hörte auf zu schlagen, schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Mik stand auf und lief in den Wald.
Er lief lange. Immer weiter, bis er den See nicht mehr sehen konnte. Er kam an einen Weg, folgte ihm aber nicht, sondern blieb im Wald. Er stolperte zwischen Wurzeln, Baumstümpfen und Ästen voran. Er lief wie ein Roboter, ganz automatisch. Seine Beine machten einen Schritt und noch einen und noch einen, ohne zu wissen, wohin sie ihn tragen sollten. Aus der Ferne kam Hundegebell, er erkannte die Hunde am Klang. Das dumpfe Bellen kam von Bass. Nummer neuns Gebell war schrill und spitz. Miks ganzer Körper schmerzte, seine Arme waren rot gestreift. Die Haut auf der Schulter war aufgerissen und blutig. Jetzt musste jemand anders die Hundescheiße
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