Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
Betonweg.
Ein niedriger Flachbetthandwagen kam durch die Hintertür des großen Schuppens. Der Huntsman zog ihn, das Gesicht von einer Strumpfmaske plattgedrückt und verzerrt wie das einer schlecht gemachten Stoffpuppe.
Eine Erinnerung an die Lichtung im Wald blitzte in Steven auf, an Davey, zusammengerollt im Kofferraum der alten blauen Limousine, während das Plattgesicht Jonas Hollys Beine festhielt. Das langsame Stolpern auf die Bäume zu, der Griff an seinem Arm, der Tritt in seine Kniekehlen. Er erinnerte sich an die heiße, nach Chemikalien riechende Wolle auf seinem Gesicht und daran, wie alles davongeschwommen war wie Fische, die durch die Baumwipfel davonwirbelten …
Etwas Schweres fiel in Petes Zwinger, und Steven zuckte zusammen.
Der Huntsman ging die Zwingerreihe entlang.
Erst als er zu Jess’ Käfig kam, konnte Steven deutlich erkennen, was er über die Türen warf …
Knochen.
Als wären sie Hunde!
Und Jess Took hob einen auf und fing an, daran zu nagen, als hätte ihr niemand gesagt, dass sie kein Hund war.
»Alles klar, mein Junge?«, sagte der Huntsman zu Steven, ohne ihn anzusehen, und wartete nicht auf eine Antwort.
»Warum bin ich hier? Was wollen Sie?«
»So isses brav«, sagte der Huntsman und reckte sich, um ein paar große Knochen über den Zaun zu heben. Steven schaute auf die groben, grau-rosa gefärbten Klumpen hinab, aus denen glänzend weiße Knorpel herausschauten.
»Das esse ich nicht«, verkündete er mit fester Stimme.
Der Huntsman beachtete ihn nicht und ging weiter.
»Der hört nicht zu«, meinte Jess traurig. »Er redet nur.«
Der Huntsman schmiss Knochen in Jonas Hollys und dann in Charlies Zwinger.
Charlie griff nach einem Streifen Rippen und sagte »Danke schön.«
Der Huntsman drehte seinen Karren und zog ihn die Reihe wieder hinunter. Leer machte der Karren ein anderes Geräusch.
Als er an ihrem Zwinger vorbeikam, fletschte Jess Took die Zähne und sagte: »Wuff!«
Kate Gulliver fand es ebenfalls »sehr interessant«, dass Steven Lamb Jonas der Entführungen bezichtigt hatte – und dann selbst verschwunden war.
Reynolds war entzückt. Er hatte Kate – die immer gesagt hatte, er solle sie doch so nennen – angerufen und ihr von Elizabeth Rices Unterredung mit dem Jungen erzählt.
Sehr interessant, hatte sie gesagt – und Reynolds wünschte, er könnte die Zeit zurückdrehen und das Gespräch auf Lautsprecher schalten, nur damit er Rice einen triumphierenden Blick zuwerfen konnte.
»Genau das habe ich auch gesagt«, erklärte er Kate stattdessen in Rices Hörweite, doch Rice gab durch nichts zu erkennen, dass sie irgendetwas mitbekommen hatte – triumphierend oder sonst wie. Sie kramte in einer Tüte aus dem Laden herum, vor dem sie gerade parkten.
»Stevens traumatisches Erlebnis in einem prägenden Alter könnte bei ihm alle möglichen Schäden hinterlassen haben«, fuhr Kate fort. »Er könnte paranoide Tendenzen an den Tag legen, die ihn sein Misstrauen auf einen Unbeteiligten fokussieren lassen.«
Sie hörte sich an, als wäre sie ziemlich begeistert von dieser Idee. »Ich kann mir sogar ein Szenario vorstellen, in dem er vielleicht anderen Kindern zu ähnlichen Erfahrungen verhilft. Misshandlungen erzeugen neue Misshandlungen, das ist nichts Ungewöhnliches.«
»Genau.« Reynolds nickte und hoffte, Rice würde eins begreifen: dass er recht gehabt hatte und dass Kate Gulliver das bestätigt hatte.
Er bekam immer mehr den Eindruck, dass Elizabeth Rice ihm seinen überlegenen Intellekt übel nahm. Das war schade, sie war schließlich auch kein Dummkopf, aber in letzter Zeit – seit er der Boss war – schwankte sie zwischen zwei Haltungen: Entweder sie zweifelte ihn an, oder sie ignorierte ihn. Beides ging ihm unter die Haut. Heute hatte sie besonders miese Laune, weil ihr Herumbohren in den Lebensumständen der Rattenfänger-Eltern nichts gebracht hatte und alle deswegen schlecht auf sie zu sprechen waren. Reynolds hatte ihr gesagt, dass das dazugehöre, und sie hatte geantwortet: »Bei Ihnen vielleicht«, und zwar in einem Ton, den er sich verbeten hätte, wenn sie ein Mann gewesen wäre.
Reynolds war stets der Meinung gewesen, er und Frauen seien Seelenverwandte. Männer fühlten sich durch seine Intelligenz bedroht und reagierten oft feindselig. DCI Marvel war ein typisches Beispiel dafür gewesen. Frauen jedoch war es im Allgemeinen sehr viel lieber, das Denken ihm zu überlassen, während er sie dazu ermutigte, in ihren Nebenrollen
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