Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)

gesagt, dass er sie lieb hatte.
    Lucy Holly hatte ihm fünfhundert Pfund gegeben.
    Sie hatte ihn zum Abschied heftig umarmt.
    All das bedeutete, dass sie nicht ermordet worden sein konnte.
    In Stevens Kopf wirbelte alles im Kreis. Konnte denn alles, was er wusste, falsch sein? Hatte Lewis recht gehabt? War er die ganze Zeit paranoid gewesen? Hatte er seiner eigenen Dämonen wegen in Jonas Holly eine Gefahr gesehen?
    Jetzt suchte er in Jonas’ Gesicht, doch er sah dort nur Schmerz. Keine Bedrohung.
    Nicht wie an jenem Abend vor dem Rose Cottage.
    Wo war dieses Gesicht, wenn Steven es brauchte?
    Damals waren Jonas’ Augen Löcher in seinem Kopf gewesen. Tote, schwarze Schächte, wie die alten Minen oben bei Brendon Hills. Man spürte, wie der Rasen ein wenig unter einem nachgab, blickte nach hinten und sah, dass man über ein Loch hinweggestiefelt war, das einen hätte umbringen können – das einen in eine Schwärze hätte stürzen können, so tief, dass man nicht nur tot, sondern auch abgehäutet wäre, wenn man unten ankam. Dann schauderte man und lachte zu laut, um zu zeigen, dass man keine Angst hatte.
    Und man träumte nachts von kleinen, finsteren Orten.
    Heute waren Jonas Hollys Augen braun. Das war alles. Braun und mit einem Schimmer, der beklemmend nach Tränen aussah.
    Er hat keine Ahnung, wovon du redest. Er hat sie wirklich geliebt.
    Steven stellte sich vor, dass jemand Em etwas antun könnte, und fand tosende Wut in seiner Brust vor – wie durch dunkle Magie heraufbeschworen –, und er wusste, dass er sich eher das Leben nehmen würde, als sie leiden zu sehen. Wenn Jonas Holly seine Frau auf dieselbe Weise geliebt hatte, dann hätte er sie niemals töten können, ganz gleich, was Steven gesehen zu haben glaubte.
    Mit einem grässlichen Stich der Reue begann Steven sich zu fragen, ob er sich vielleicht auch die Gefahr nur eingebildet hatte, die seinem Gefühl nach an jenem Abend vor dem Rose Cottage von Jonas Holly ausgegangen war.
    Die kleine senkrechte Furche zwischen seinen Augenbrauen wurde tiefer.
    Das war unmöglich. Das hatte er sich nicht eingebildet.
    Oder doch?
    Oder doch?
    Was hatte sein Gehirn noch alles erfunden? Die Ohrfeige, die Lucy Holly auf die Knie geschleudert hatte? Das Geld, das aus einem schwarz-weißen Himmel fiel? Die Hecke in seinem Rücken, die ihm keinen Fluchtweg ließ?
    Em?
    Sie war zu gut für ihn, nicht wahr? Zu toll, um wahr zu sein. Ihr Herz, das unter seiner Hand pochte, ihre Saure-Limo-Süße. Hatte er sich das eingebildet? Hatte er sich sie eingebildet?
    Steven blinzelte und erschauerte. Wie viel davon war wahr? Ganz plötzlich war er sich nicht mehr sicher. Die Hitze und der Gestank der Zwinger waren jetzt seine einzige Wahrheit. Wie lange war er schon hier? Einen Monat? Ein Jahr? Er wusste es nicht mehr. Jess und Charlie und Maisie und Kylie und Pete waren real. Das wusste er. Jonas war einfach nur Jonas, und seine Augen waren einfach nur braun, und sein Bauch wies die Male auf, die ein Killer hinterlassen hatte. Dieser Dinge war er sich sicher. Alles andere könnte ausschließlich in seinem Kopf vorhanden sein. All die Ängste.
    Steven war, als schwanke er am Rand eines tiefen schwarzen Abgrundes. Felsen zerbröckelten unter ihm und trudelten in die Tiefe.
    Er hatte sehr viel durchgemacht.
    Er hatte sehr viel durchgemacht.
    Was, wenn die letzten fünf Jahre nur in seinem Kopf existierten? Wenn Arnold Avery doch gewonnen hatte, an jenem nebligen Morgen oben bei den Blacklands …
    Tränen füllten Steven wie Wasser einen Krug und quollen ihm in einem Strom aus den Augen, der sich anfühlte, als wolle er niemals versiegen.
    »Es tut mir leid«, schluchzte er. »Es tut mir leid.«
    Durch den Tränenschleier hindurch sah er, wie Jonas’ verstörtes Gesicht zuerst einen überraschten und dann einen besorgten Ausdruck annahm. Er kam so nahe heran, wie seine Kette es ihm erlaubte, und streckte die Hand aus, um den Maschendraht zwischen ihnen zu berühren.
    »Was ist denn?«, fragte Jonas.
    »Ich glaube, ich bin vielleicht tot«, sagte Steven und weinte weiter.
    48
    Kate Gulliver kam nach Shipcott und aß mit Reynolds und Rice zu Abend. Rice war ihr noch nie begegnet und war verblüfft, wie attraktiv sie war – mit dunkler Haarmähne, dunklen Exotenaugen und Beinen, die unnötigerweise durch hochhackige Lacklederstiefel noch länger gemacht wurden.
    Rice merkte, wie der Begriff unelegant sich über sie stülpte wie ein Kartoffelsack.
    Der Red Lion bot abends nur ein