Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
tränenüberströmten Gesichter wurden vom Regen und von zaghafter Hoffnung reingewaschen, während sie zum Abschied winkten. Jess Took umarmte ihn.
Zwei Rettungshelfer versuchten, ihn mitzunehmen, doch Steven weigerte sich.
»Ich will nicht ins Krankenhaus.«
»Du musst untersucht werden«, meinte einer der beiden.
»Mir fehlt nichts.«
Der Mann nahm ihn am Arm – sanft, aber mit festem Griff. Steven schüttelte ihn ab und stieß ihn weg. Panik schoss in ihm empor …
Plötzlich war Elizabeth Rice an seiner Seite. Ihre Haare waren schon wieder nass, aber diesmal sah sie nicht verärgert aus.
»Er will nicht in den Krankenwagen steigen«, sagte der Rettungshelfer, doch sie wies ihn einfach nur mit einer Geste ab und wandte sich dann an Steven.
»Sollen wir einfach nach Hause fahren?«, fragte sie.
Stevens Augen brannten, und er fühlte, wie Freude sein Herz erfasste, als er an die ausgebreiteten Arme seiner Mutter dachte, an Nans Augen, groß und glänzend hinter ihrer Brille, an Davey, der sich freute, ihn zu sehen, und an Ems warmen Rücken unter seinen Händen. Die Bilder waren so mächtig, dass er spürte, wie die Muskeln in seinen Armen zuckten, um sie alle zu umarmen.
»Ja, bitte«, sagte er. Und er legte die Arme um Elizabeth Rice und ließ sich von ihr festhalten, bis seine Mutter das übernehmen konnte.
Über ihre Schulter hinweg sah er Jonas Holly zwischen zwei Helfern vorbeihumpeln. Jonas richtete die braunen Augen auf Steven und hob die Hand.
Steven erwiderte die Geste nicht. Er sah zu, wie die Männer Jonas in einen Krankenwagen halfen, und hoffte, dass dieser auf dem Weg ins Krankenhaus verunglücken würde.
Dann folgte er DS Rice zu einem Auto, das noch immer nach überhitzten Bremsen roch.
64
Ihre Heimkehr war genau so, wie sie es erwartet hatten – sogar noch schöner.
Jess Took klemmte so fest zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter, dass sie sich fragte, wie man die beiden jemals wieder voneinander loseisen sollte. Rachel stand dabei – mit starrem Lächeln und ausgefahrenen Krallen – und fragte sich dasselbe.
Pete Knox’ Eltern traten als einiges Paar auf, und ihre Nachbarn veranstalteten ein Straßenfest, um ihn willkommen zu heißen, mit Girlanden und Kuchen. Die Bezirksverwaltung war sogar bereit, die Straße zu sperren, damit sie während der Feier nicht alle plattgefahren wurden. Pete schaffte nur ein halbes Törtchen und einen Schluck Cola, bevor ihm ein bisschen übel wurde. Es würde eine Weile dauern.
Seine Mutter folgte ihm überallhin wie ein Fäustling an einer Schnur, und sein Vater sah ihr mit einer Miene dabei zu, die verriet, dass er nicht vergessen konnte, was sie damals auf dem frühmorgendlichen Parkplatz gesagt hatte. Zum Glück merkte Pete es erst einmal nicht. Er war ganz einfach froh, zu Hause zu sein.
Maisie und Kylie tauchten in Liebe und Behütetsein ein und fuhren nie wieder mit dem Bus zur Schule.
Ein paar Tage nach ihrer Rückkehr saß der Busfahrer Ken Beard in ihrer Straße in seinem Auto und zitterte so sehr, dass er nicht tun konnte, weswegen er gekommen war. Schließlich waren es seine Tochter Karen und ihr Freund – der schlicht und einfach Mark hieß, trotz der Wimperntusche –, die ihn zu den Haustüren hinauflotsten und für ihn anklopften, damit er die Mädchen persönlich um Verzeihung bitten konnte.
Sie und ihre Familien waren versöhnlich gestimmt und würden es noch lange bleiben.
Steven bekam blaue Flecken von all den Umarmungen. Lettie weinte und lachte noch tagelang, Onkel Jude kaufte ihm eine Xbox, die noch in der Originalverpackung steckte, und Nan sagte immer wieder »Ich hab doch gesagt, er kommt wieder!«, auch wenn das gar nicht stimmte.
Davey umarmte ihn und hätte fast geheult, dann jedoch nannte er ihn stattdessen einen Wichser. Aus seinem Mund bedeutete das viel.
Körperlich erholte Steven sich rasch. Es dauerte ein paar Wochen, wieder richtig essen zu lernen, doch das war nicht weiter schwer. Seelisch war er … in guter Verfassung.
Das verblüffte sogar ihn selbst. Sicher, der Geruch von Sagrotan-Badreiniger konnte ihm den Magen umdrehen, und er ertappte sich oft dabei, wie er seinen Hals berührte und nach dem Halsband tastete, das er so lange getragen hatte. Aber trotzdem lehnte er höflich ab, als DS Rice ihm erklärte, dass die Opferhilfe eine psychologische Betreuung für alle betroffenen Kinder arrangiert hatte, um ihnen über das Trauma hinwegzuhelfen.
Er hatte doch überlebt, oder etwa nicht? Die
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