Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
sich auf allen Seiten um sie herum erhob. Der Vogelgesang und die Sonnensprenkel waren ein lockender Schleier. Darunter roch etwas faulig.
Reynolds seufzte und stieg über Mrs Knox’ schlaffe Beine hinweg, um einen Blick in den Golf zu werfen. Er war mit dem üblichen Urlaubskram vollgestopft – Landkarten, Wasserflaschen, Butterbrotpapier, Kühlbox, Badelaken.
Doch wenn man wusste, dass dort eigentlich ein Neunjähriger drin sein sollte, kam einem der Wagen sehr leer vor.
Guckt sie euch an.
Jetzt is’ es ihnen wichtig. Jetzt, wo’s zu spät is’. Wo waren sie denn, als er sie gebraucht hat? Ham unten auf den Stufen rumgemacht, ham gedacht, in ihrem Leben könnt nichts schiefgehn. Ham nich’ daran gedacht, wie viel sie zu verlieren ham. Ham nich’ an die Folgen gedacht. Und jetzt sind Folgen alles, was sie ham.
Auf eine Art is’ das eigentlich komisch. Und auf ’ne andere nich’. Nich’, wenn man die Mutter da unten is’ und flennt wie ’n Wasserfall. Sie sollte auch heulen. Sie is’ ’ne Schande. Alle sind sie das.
Na ja, sie wer’n sich wohl einfach dran gewöhnen müssen. Erstaunlich, woran man sich so gewöhnen kann. Oder was man so macht, wenn man’s nich’ kann …
Sei’s drum. So is’ es nun mal. Ich brauch ihn mehr als die da unten.
Und ich werd ihn auch mehr lieben.
7
Zwei Kinder waren innerhalb von vier Tagen verschwunden, und die Presse fiel über das Exmoor her wie Möwen über einen frisch gepflügten Acker. Kreischend und flügelschlagend rauften sich die Journalisten um die besten Bissen.
Am rauflustigsten war die unerbittliche Marcie Meyrick.
Drei Gründe gab es, weshalb Marcie nicht zu unterschätzen war. Erstens war sie neununddreißig – und das war so weit über dreißig, dass es ebenso gut fünfzig hätte sein können. In puncto Nachrichtensammeln war sie ein Dinosaurier, ein Fossil, ein Dodo. Ein Dodoweibchen, das seine kleinen spitzen Flügel einsetzte, um Rivalen aus dem Weg zu stoßen und sie mit ihren prähistorischen Dodofüßen niederzutrampeln, während sie kopflos auf eine Story zuhastete. Nachdem sie dem Job zuliebe sowohl ihren Freund abserviert als auch ihre biologische Uhr ignoriert hatte, war Marcie Meyrick jetzt nicht bereit, für die nassforschen Halbwüchsigen beiseitezutreten, die heutzutage als Journalisten durchgingen.
Zweitens war Marcie freischaffende Reporterin, was bedeutete, dass sie pro Zeile bezahlt wurde, und nicht dafür, dass sie irgend so einen laxen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, mit vier Wochen Urlaub und einer Pensionsvereinbarung. Ihr einziges Lebensziel war, Artikel in Zeitungen unterzubringen, vorbei an Nachrichtenredakteuren, die bereits über ihre eigenen Reporter, über die Presseagenturen und die Macht von Google verfügten. Die Ausbeute wurde immer schmaler und Marcie Meyrick auch.
Der dritte Grund, weshalb niemand sie unterschätzte, war, dass sie Australierin war – dagegen gab es kein Mittel. Es machte sie verwegen genug, auch den feindseligsten Zielpersonen auf die Pelle zu rücken, dickfellig genug, um selbst die brutalsten Beleidigungen abzuschmettern, und zu einer solchen Nervensäge, dass untreue Politiker, lebenslänglich einsitzende Kriminelle und abgebrühte Polizeipressesprecher regelmäßig vor ihr einknickten. Sie zogen Bloßstellung, Missbilligung und sogar Gefängnisstrafen einer einzigen weiteren Minute ihres nasalen Bettelns vor, bei dem man meinte, ein Moskito würde einem im Ohr surren.
Zwei Winter zuvor war sie auf einer Pressekonferenz über die Morde gewesen, die Shipcott erschüttert hatten. Die Polizei hatte beharrlich behauptet, sie hoffe nach wie vor auf eine Festnahme.
»Dieses Jahr, nächstes Jahr, irgendwann, nie?«, hatte Marcie bei dieser speziellen Konferenz genölt und sich damit bei allen und jedem noch beliebter gemacht.
Jetzt, da zwei Kinder innerhalb einer Woche entführt worden waren, wollte jeder Nachrichtenabnehmer im ganzen Land noch ein Stück vom Exmoor-Kuchen. Pete Knox war am Mittwoch nach der Entführung von Jess Took verschwunden. Am Donnerstagmorgen schwärmten mehr als fünfzig Reporter, Kamerateams und Fotografen über das Exmoor – alle auf der Suche nach der Story, mit der sie in den Abendnachrichten landen würden.
Da sie ein uralter Hase war, wusste Marcie, dass bei einer Story, in der es sowohl um Morde als auch um Kinder ging, nur zwei Dinge wichtig waren: Panikmache und eine schmissige Schlagzeile. Panikmache war in diesem Falle leicht: Vermisste
Weitere Kostenlose Bücher