Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
Blick wurde wacher. »Oh«, sagte er. »Hallo.«
»Ich bin gerade vorbeigekommen und hab mich gefragt, ob Sie wohl Lust auf einen Drink haben.«
»Nein, danke«, sagte er so schnell, dass sie einen Moment lang dachte, er hätte »Ja, bitte« gesagt.
»Oh.« Sie fühlte sich jäh ernüchtert und kam sich blöd vor. Und dann ärgerte sie sich ein wenig über seinen Mangel an Manieren. Er hatte den Schlag nicht abgemildert, indem er noch irgendetwas anderes gesagt oder sie hereingebeten hatte, und ihr leiser Verdruss wuchs zu dem trotzigen Entschluss heran, mit Jonas Holly etwas zu trinken, ob er nun wollte oder nicht.
»Wir brauchen ja nicht wegzugehen. Ich könnte doch einfach auf eine Tasse Tee reinkommen.«
Das abzulehnen, war schwerer für ihn – sie konnte es sehen –, allerdings sah er immer noch nicht begeistert aus.
»Lassen Sie mich nicht betteln, Jonas!«
»Entschuldigung«, sagte er und hielt die Tür auf.
Sie gingen am Wohnzimmer vorbei gradewegs in die Küche. Auf dem Tisch lag alles Mögliche durcheinander – Schlüssel, Papierkram, ungeöffnete Post –, ansonsten jedoch war der Raum einigermaßen aufgeräumt. Sie hatte mit dem Chaos eines Junggesellen gerechnet.
Er setzte Wasser auf, dann sagte er: »Ich glaube, wir haben noch Wein.«
»Gott, ja, bitte. Ich komme gerade von diesem verdammten Treffen der Rattenfänger-Eltern. Ich brauche dringend Alkohol.« Er klirrte hinter irgendwelchen Ölflaschen herum und öffnete dann eine Flasche Rotwein. Gut. Reynolds war ein Weißweintrinker. Sie machte Platz auf dem Küchentisch und setzte sich.
Jonas schenkte sich ebenfalls ein Glas ein, doch er setzte sich nicht zu ihr an den Tisch oder hob das Glas als Antwort auf ihre Dankesgeste. Er lehnte sich an den Küchentresen.
Ein langes Schweigen herrschte, während sie an ihrem Wein nippte. Spanisch und herb. Er hielt sein Glas einfach nur in der Hand und schaute hinein.
»Lecker«, sagte sie. »Vielen Dank.«
Er nickte. Die Uhr tickte. Er würde nichts sagen. Sie musste den Anfang machen.
»Dieser Fall macht uns noch wahnsinnig.«
Wieder nickte er bedächtig. »Ist ’ne harte Nuss«, meinte er. »Ihr liebt ihn nicht.«
»Was bedeutet das?« Rice war erleichtert, dass Jonas sich schließlich doch auf eine Unterhaltung eingelassen hatte – auch wenn es um etwas Dienstliches ging.
Er zuckte die Achseln. »Für ihn hat es wohl etwas zu bedeuten.«
»Für den Kidnapper?«
»Ja.«
»Aber was?«
Rice trank noch einen kleinen Schluck. Ermunterte Jonas, die Gesprächslücke zu füllen.
»Ich glaube …«, setzte er an und stockte dann. Sie nickte ihm zu, ließ ihn wissen, dass sie bereit war zuzuhören. Er stellte sein Glas hin und steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans; dann zog er sie wieder heraus. Nervös.
»Ich meine, in gewisser Hinsicht kann ich es verstehen.«
»Was verstehen?«
»Seine Wut.«
Rice verbarg ihre Verblüffung und nippte an ihrem Wein, während sie abermals verständnisvoll nickte.
Jonas fuhr ohne weitere Aufmunterung fort. »Manche Leute. Sie wissen schon.«
Sie dachte schon, das wäre alles, was sie zu hören bekommen würde, doch dann seufzte er und sprach weiter.
»Ihre Einkaufstüten packen sie in den Kofferraum, ihre Navis schieben sie unter den Sitz. Und dann lassen sie ihre Kinder für jedermann sichtbar im Wagen, wie alte Regenschirme. Ich meine – ihre Scheiß kinder !«
Sie blinzelte verdattert. Jonas griff nach seinem Glas und nahm einen Schluck Wein.
»’Tschuldigung«, sagte er.
»Kein Problem. Ich weiß, was Sie meinen.«
Überrascht stellte sie fest, dass das tatsächlich stimmte. Jonas hatte recht, nicht wahr? Wären die Weihnachtsgeschenke der Betroffenen vom Rücksitz geklaut worden anstatt ihrer Kinder, hätte sie den Kopf geschüttelt und gefragt, was zum Teufel sie denn anderes erwartet hätten. Es freute sie, dass er ihr genug vertraute, um seine Meinung zu sagen. Außerdem sah Jonas gut aus, wenn er so in Fahrt kam. Wenn er leidenschaftlich wurde. Der leicht distanzierte Gesichtsausdruck, den er meistens zur Schau trug, war einer düsteren Intensität gewichen. Und er hatte sie zum ersten Mal richtig angesehen. Sie leerte ihr Glas und spürte, wie die Wärme des Weines sie entspannte und ihr das Gefühl gab, dass sie etwas gemeinsam hatten, obwohl sie noch nicht genau wusste, was.
»Gehen wir ins Wohnzimmer?«, schlug sie impulsiv vor. Dann erhob sie sich und griff nach der Flasche, bevor er ablehnen konnte.
Im Wohnzimmer war
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