Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
es trotz der sommerlichen Temperaturen kalt. Es fühlte sich unbewohnt an. Als Jonas das Licht anmachte, sah sie, dass der Stecker des Fernsehers nicht in der Steckdose steckte. Diesmal setzte er sich hin, während sie stehen blieb. Sie füllte ihr Glas neu und stellte die Flasche auf das Kaminsims, neben ein Foto von Lucy Holly bei der Gartenarbeit. Es erschien ihr unhöflich, nichts dazu zu sagen.
»Sie war sehr schön.«
Jonas nickte kurz, sagte aber nichts. Sie hatte erwartet, dass er ihr beipflichten und das Ganze weiter ausführen würde. Seine ungewöhnliche Reaktion machte Rice verlegen. Sie konnte sich gerade noch beherrschen, nicht draufloszuschwatzen – ihn zu fragen, wie er mit dem Alleinsein zurechtkam, ob er schon mal an eine neue Beziehung gedacht hatte, all diese abgedroschenen Klischees.
Um ihr Unbehagen zu kaschieren, nahm sie einen schmalen goldenen Brieföffner zur Hand, auf dessen Griff die Seebrücke von Weston eingraviert war, und betrachtete ihn eingehend, als fände sie ihn ungemein interessant.
Er saß auf dem Sofa, die Ellenbogen auf den Knien und das Glas locker in den Händen und sah zu, wie sie den kleinen Pseudodolch in den Händen drehte. Sie war sich seines Blicks bewusst und verspürte ein Flattern im Bauch. So was von albern! Ein Teil davon kam vom Wein, das wusste sie. Aber ein Teil nicht. Geistesabwesend fuhr sie mit einem ordentlich geschnittenen Fingernagel über das gravierte Heft des Brieföffners, und winzige braune Sprenkel lösten sich von der blanken Oberfläche.
Unwillkürlich fragte sie sich, wie er wohl im Bett wäre. Sie bezweifelte, dass er seit dem Tod seiner Frau Sex gehabt hatte. Das wäre aufregend. Vielleicht auch anrührend. Es war sehr lange her, dass Elizabeth Rice Sex gehabt hatte, der aufregend war, und sie war sich nicht sicher, ob Sex sie jemals gerührt hatte.
Der Gedanke und der Wein machten sie kühn. Was hatte sie zu verlieren? Was hatten sie beide zu verlieren?
Erst da wurde Rice klar, dass er gar nicht sie anstarrte, sondern den Brieföffner in ihrer Hand. Auf seinem Gesicht lag ein merkwürdiger Ausdruck – als wäre er plötzlich in einer fremden Umgebung aufgewacht.
»Alles okay?«, fragte sie.
Er stand auf, nickte und stellte seinen Wein hin, ehe er »Ja« sagte wie ein richtig schlechter Lügner.
Rice seufzte, legte den Brieföffner wieder auf das Kaminsims und stellte ihr halbvolles Weinglas daneben.
Sie würde heute Abend doch noch Auto fahren.
27
Mark Trumbull hatte Davey das Skateboard gegeben, das er Lalo Bryant abgekauft hatte. Es war ein Renner Blood Tattoo, das Davey umgehend als »Schrott« abgetan hatte.
»Wenn du’s nicht willst, nehme ich es«, erbot sich Shane, und nachdem er das Board mit solchem Hohn überschüttet hatte, blieb Davey nichts anderes übrig, als es herauszurücken.
Jetzt fuhr Shane in einer Serie erratischer kleiner Rutscher und wackliger Rolleinlagen darauf zum Sportplatz hinunter, während Davey ihm mit einer Mischung aus Verachtung und Neid zusah. »Probier’s doch mal«, drängte Shane. »Ist gar nicht so schwer.« Davey schüttelte den Kopf. Er hatte Stevens Skateboard unter dem Arm, doch das ließ er nicht los. Sie erreichten die Wiese am Dorfrand. An das letzte Haus in der Reihe war schon seit einer Ewigkeit ein »Zu verkaufen«-Schild genagelt, und die Seitenfenster starrten blind über das leicht abfallende Fußballfeld, wo die Heimmannschaft anscheinend nie im Vorteil war. Shane hob sein Skateboard auf, und sie gingen über den Rasen, der sich allmählich gelb verfärbte.
Chantelle Cox schubste ihr Baby auf einer rostigen Schaukel an, das Haar bis zum Anschlag gescheitelt und zusammengerafft und ganz oben auf ihrem Kopf so präzise festgezurrt wie ein Seesack der Luftstreitkräfte.
»Haste mal ’ne Zigarette?«, fragte Davey sie.
»Nein«, antwortete sie, obwohl sie gerade eine neue aus einer Packung klopfte.
Das war ihm egal. Er rauchte ja gar nicht. Es hörte sich bloß toll an.
Sie gingen an der Skateboardrampe vorbei zum hintersten Ende des Spielfeldes, wo ein schmaler Bach die Grenze zwischen dem Dorf und dem steilen gelben Hochmoor dahinter markierte. Wegen des ausbleibenden Regens war der Bach flach und träge geworden.
Davey beugte sich vor und ließ Stevens Skateboard ins Wasser fallen. Es schlug mit einem schmatzenden kleinen Platschen auf, sank unter die Oberfläche und trieb nur ein kleines Stück weit, ehe es sanft mit der Nase voran in den Schlamm am Grund sackte. Er
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