Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
zugeschnitten sind. Ihr liebt sie nicht. Ihn. Sie. Entweder hat er sich die Zeit genommen, sie am jeweiligen Tatort zu schreiben, oder er hat sich seine Opfer im Voraus ausgesucht und hatte die Zettel schon parat.«
Rice zog einen nachdenklichen Schmollmund, dann nickte sie. »Stimmt«, sagte sie. »Sehe ich auch so.«
»Vielen Dank«, antwortete er und zog sarkastisch eine Augenbraue hoch.
»Aber bei Kylie und Maisie muss es Zufall gewesen sein«, überlegte Rice. »Das kann er unmöglich geplant haben. Vielleicht trägt er ja einfach solche Zettel mit sich herum und lässt immer den da, der gerade zur jeweiligen Situation passt.«
Reynolds furchte die Stirn und machte dieses Geräusch mit der Zunge, das sie immer wahnsinnig machte. Tta-tta-tta. Dann schüttelte er den Kopf. »Das glaube ich nicht. Das kommt mir ein bisschen zu organisiert vor.«
»Er kritzelt doch nur auf irgendwelchen Zetteln rum und schreibt das nicht mit Zuckerguss auf ’ne Geburtstagstorte.«
»Trotzdem«, beharrte Reynolds, »wir sollten beide Szenarien in Erwägung ziehen. Wenn er sie am Tatort schreibt oder sie für alle Fälle fertig dabeihat, dann ist das eine Sache. Aber wenn er sie im Voraus geschrieben hat, weil er vorhatte, ganz bestimmte Kinder zu entführen, dann ist das etwas ganz anderes. Das heißt, dass er sich diese Kinder ausgesucht hat. Sie vielleicht beobachtet hat.«
Rice nickte. »Wir haben uns bereits bei den Eltern erkundigt, ob sich vor den Entführungen irgendjemand bei ihnen in der Nähe herumgetrieben hat. Niemand erinnert sich an so etwas.«
»Das heißt nicht, dass er nicht da war«, wandte Reynolds achselzuckend ein. »Worauf ich hinauswill, ist, wenn er sie beobachtet hat, dann hat er das vielleicht aus einem ganz bestimmten Grund getan. Vielleicht wurden die Kinder wirklich misshandelt oder vernachlässigt. Vielleicht hatte er das Gefühl, sie würden wirklich nicht geliebt. Das könnte eine Gemeinsamkeit sein.«
»Und es ist eine Gemeinsamkeit, die sie wohl kaum zugeben werden.«
»Genau.« Reynolds nickte. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, da mal ein bisschen nachzubohren, Elizabeth?«
Natürlich machte es ihr nichts aus. Wie denn auch? Er war Inspector und sie Sergeant.
26
Lucy Holly war ohne ihn begraben worden.
Ihr Leichnam war über einen Monat für forensische Untersuchungen einbehalten worden, im Zuge der Ermittlungen in den Mordfällen in jenem Winter, und Jonas hatte noch im Krankenhaus gelegen, als er endlich zur Bestattung freigegeben wurde. Ihre Eltern hatten die Beerdigung arrangiert und ihre Tochter in Shipcott begraben lassen, obwohl sie in Surrey wohnten. Sie hatten Jonas immer gemocht, und er hatte selbst keine Angehörigen. Als er schließlich nach Hause kam und erfuhr, was in seiner Abwesenheit getan worden war, war er vor Dankbarkeit schier überwältigt. Sie riefen immer noch hin und wieder an – Lucys Mutter aufmunternd und praktisch, ihr Vater leise und nutzlos, aber nicht weniger liebenswürdig.
Sechs Monate nach dem Begräbnis hatte der Beerdigungsunternehmer Jonas angerufen und ihm mitgeteilt, dass das Grab sich »gesetzt« hätte und dass jetzt ein Grabstein auf dem kleinen Friedhof der St. Mary’s Church aufgestellt werden könne, wo auch seine Eltern begraben waren. Jonas hatte nach dem Anruf wochenlang Albträume – und manchmal auch tagsüber grauenvolle Visionen – davon, was das »sich Setzen« des Grabes wirklich bedeutete: dass das Fleisch, das Lucy gewesen war, verwest war und sich verflüssigt hatte und jetzt aus dem zerdrückten Sarg ins Gras des Exmoor sickerte.
Er hatte sich tausend Worte ausgedacht, die in ihren Stein gemeißelt werden sollten, doch in seinem untröstlichen Zustand geriet ihm Poetisches immer zu gefühlsduseligen Knittelversen, und schließlich beließ er es bei etwas Simplem:
LUCY JANE HOLLY
Geboren am 21. April 1982
Gestorben am 29. Januar 2011
Jeden Tag Vermisst
Der Beerdigungsunternehmer hatte ein hässliches Edelstahlgefäß mit Löchern im Deckel für Blumen gestiftet, das Jonas nie benutzte und hinter dem Grabstein versteckte. Stattdessen hatte er zwei Futterhäuschen dort angebracht – eins mit Hirse und eins mit Erdnüssen –, die während des größten Teils des Jahres Blaumeisen und Goldfinken zu Lucys Grab lockten. Im Winter hängte er eine mit Fett gefüllte Kokosnussschale auf und hatte dort auch schon oft ein Rotkehlchen gesehen.
Von Lucys Grab aus waren es weniger als zwanzig Schritte bis zu der Kirchentür, wo
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