Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
zögerte einen Moment, während eine ganze Unterhaltung – eine ganze Zukunft – in seinem Kopf ablief. Eine Zukunft, in der Em ihn als Kuriosität betrachtete anstatt als Freund.
»Er ist überfahren worden.« Es war ihm zuwider, sie anzulügen.
»Wie schrecklich«, sagte sie.
»Das war, bevor ich geboren wurde.« Er zuckte die Schultern.
Sie wandte sich von dem Regal ab und lächelte ihn an, und er war froh, dass er gelogen hatte, anstatt alles zu verderben.
Er sah zu, wie sie sein Zimmer inspizierte wie ein exotisches Tier, das einen neuen Käfig erforscht. Dabei widerstand er der Versuchung, die Unordnung zu rechtfertigen oder aufzustehen und alles Mögliche zu verstecken, und je länger die Inspektion andauerte, desto mehr wurde ihm klar, dass sie kein Urteil über ihn fällte; es interessierte sie ganz einfach. Hin und wieder sagte sie etwas: »So eins hab ich auch. Hat das bei dir geklappt? Bei mir auch nicht, und ich kenne auch niemanden, bei dem das funktioniert hat.« Oder: »Oh, auf deinem Liverpool-Trikot steht ja dein Name hintendrauf! Cool! Oh, da ist es zerrissen, das ist aber schade.« Und: »Ich fasse es nicht, dass du die Dinger sammelst. Du Streber.«
Steven entspannte sich unter ihren Spötteleien, und bald machte ihm ihre Runde durch sein Zimmer ebenso viel Spaß wie ganz offenkundig ihr selbst.
Als nichts mehr zu begutachten da war, kam sie langsam auf das Bett zu, und Steven hörte auf zu lachen und wurde sich jäh seines eigenen Körpers bewusst – und des ihren. Endlich setzte sie sich ein kleines Stück von ihm entfernt hin und rutschte dann heran, bis sich ihre Hüften berührten.
Sie küssten sich von Neuem, als wäre zwischen ihrem letzten Kuss und diesem hier, zwei Tage später, keine Sekunde vergangen. Als wäre Jonas Holly nur ein böser Traum und Nans Geburtstag müsse erst noch anbrechen.
Dieser Kuss war auf ganz eigene Art und Weise anders. Sie saßen nicht in Ronnies Garage, und sie standen nicht vor einem Eisentor. Sie waren in seinem Zimmer, auf seinem Bett. Der Gedanke allein war schon erregend genug für ihn, um Em fester zu küssen und die Hand auf ihren nackten Schenkel zu legen.
Dann geriet in Stevens Kopf alles durcheinander. Er berührte Em, sie berührte ihn; sie öffnete den Mund, und in seinen Ohren hallte ein Dröhnen. Er schob die Hand unter den Saum ihres weißen Trägertops und berührte die heiße, glatte Haut ihrer Taille, und ihm wurde ein wenig schwummerig.
Sie beendete den Kuss.
»Entschuldige«, sagte er. »Es tut mir leid.«
»Mir nicht«, erwiderte sie ernsthaft.
Em zog die Füße aus ihren hübschen Muschelschuhen und hob vorsichtig die Beine auf Stevens Bett. Sie nahm seine Hand.
»Können wir uns hinlegen?«
Er trat sich die Turnschuhe von den Füßen, und sie lagen beide auf dem Rücken auf dem schmalen Bett, so dass sich ihre Schultern, Arme, Hände und Hüften berührten, und starrten an die Decke. Er konnte nicht glauben, dass dies dasselbe Bett war, in dem er die letzten fünf Jahre geschlafen hatte. Er lag mit einem Mädchen, das er geküsst hatte, auf seinem Liverpool-Bettüberwurf. Er hatte ihr wunderbare Dinge zu sagen, aber er konnte kaum atmen, geschweige denn sprechen, so eng war seine Kehle vor Verlangen und Nervosität. Der Kuss war leicht gewesen, doch bei dem Gedanken, bei richtigem Sex etwas falsch zu machen, wurde ihm schwindelig vor Entsetzen. Er verlangte so sehr danach, dass er zitterte, doch lieber wollte er überhaupt niemals Sex haben, als alles verkehrt zu machen und mit dieser Schande leben zu müssen. Eine Schande, über die Em genau Bescheid wissen würde. Eine Schande, von der sie vielleicht ihren Freunden erzählen würde. Seinen Freunden. Er hatte solche Angst, dass sein Kiefer vor Anspannung schmerzte …
»Ich hab Angst«, sagte sie mit einer ganz kleinen Stimme. »Ich hab das noch nie gemacht.«
Steven hätte am liebsten geheult, so sehr liebte er sie.
Er drehte sich zu ihr herum.
»Ich will ja«, sagte sie. »Ich liebe dich. Aber ich hab Angst.«
Steven legte einen Arm um sie, und sie rollte sich zu ihm herum, so nahe, dass er ihren warmen Atem auf seinen Lippen spürte.
»Wir brauchen doch gar nichts zu machen«, sagte er. »Ich liebe dich.«
Davey war mit Shane im Wald.
Sie hatten die Playstation dröhnend und scheppernd zurückgelassen. Sie würden den Kidnapper schnappen, und Steven würde sie nicht daran hindern können. Geschah ihm recht, schließlich hatte er Daveys Federvogel so mies
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