Ihr Pferd ist tot - Steigen Sie ab
fruchtbaren Boden. Viele Menschen wünschen sich jetzt eine Tätigkeit, die sie als nachhaltig und sinnvoll empfinden. Die Inhalte der Arbeit gewinnen an Bedeutung. Wie es ein Coachingklient einmal formulierte: »Wenn mich meine Tochter einmal fragt, was ich denn für eine Arbeit habe, möchte ich ihr eine Antwort geben, auf die ich stolz sein kann.«
Hinterfragt werden in der zweiten Karrierephase auch oft die bisherige Work-Life-Balance (viel Work, wenig Life) sowie der Umgang mit der eigenen Gesundheit und dem sozialen Umfeld (was beides häufig bisher vernachlässigt wurde). Weil die alten Antworten und Werte immer weniger gültig sind, wird auch die eigene Identität infrage gestellt und gerät manchmal in eine heftige Krise. »Wer bin ich denn, wenn ich der Mensch von gestern nicht mehr bin und nicht mehr sein möchte?« Neue Antworten kommen natürlich nicht über Nacht. Und so stellen viele Menschen fest, dass ihre Frage nach einem anderen Job viel weitreichender ist, als sie ihnen anfangs erschien. Besonders schwierig ist so eine Phase für uns, wenn diese neuen Fragen nach unseren Wünschen und Zielen für uns ganz ungewohnt sind – weil wir sie uns bisher kaum gestellt haben. Wenn ich Menschen frage, wie sie denn ihre Entscheidung für ihren ersten Beruf getroffen haben, höre ich sehr häufig, dass dies bei ihnen gar kein bewusster Prozess unter Abwägung von Interessen und Möglichkeiten war. Vielmehr sind sie so »hineingeschliddert«, weil die Eltern es wollten, ein Freund dasselbe machte, es gerade Bedarf zu geben schien, man mit diesem Job angeblich nichts falsch machen konnte und so weiter.
Was Hänschen nicht gelernt hat, kann Hans leider immer noch nicht. Und das führt dazu, dass er überhaupt nicht weiß, was er tun soll, wenn die großen Fragen des beruflichen Umbruchs an seine Tür klopfen. Er fühlt sich hilflos und inkompetent, versteht aber womöglich gar nicht, woran es ihm eigentlich mangelt. Es liegt dann nahe, sich für die eigene Ideenlosigkeit zu kritisieren – wenn es doch anderen Menschen anscheinend viel leichter fällt! Ist es nicht sehr gut nachvollziehbar, wenn wir Strategien der Vermeidung entwickeln, uns an unserem toten Pferd festhalten, um uns diese »gefährlichen« Fragen gar nicht erst stellen zu müssen?
|70| Lassen Sie sich Zeit!
Haben Sie das Gefühl, dass kleine Veränderungen, ein wenig »Job- Lifting «, Ihnen jetzt nicht genügen können? Geht es Ihnen eher darum, sich berufliches Neuland zu erobern, indem Sie sich ganz neu orientieren? Ob und wie sehr meine Beschreibung des Übergangs zwischen erster und zweiter Karrierephase auf Sie zutrifft, können nur Sie selbst beurteilen. Ich möchte Ihnen dabei Folgendes ans Herz legen: Wichtige Veränderungen geschehen selten über Nacht und brauchen viel Zeit und Aufmerksamkeit!
Die größten Hindernisse, die ich bei Menschen in so einer Umbruchphase erlebe, sind Ungeduld und eine viel zu selbstkritische Haltung. Gilt dies auch für Sie? Machen Sie sich bitte klar, dass Antworten und Werkzeuge, die bisher immer gut und richtig waren, wahrscheinlich inzwischen weniger tauglich und gültig sind. Möglicherweise haben Sie, wie so viele, nie gelernt, nach eigenen Wünschen und beruflichen Visionen zu forschen und daraus stimmige Ziele abzuleiten. Mein Anliegen ist es hier, Ihnen zu zeigen, wie tiefgreifend der Wunsch nach beruflicher Veränderung sein kann, wenn er Ausdruck eines inneren Reifungsprozesses ist. Die »Du-kannst-alles-errei chen-du-musst-es-nur-wollen-Kultur « möchte uns gern vermitteln, dass die Suche nach
dem
Traumjob eigentlich ein Spaziergang ist. Wäre es so leicht, säßen nicht so viele Menschen auf toten Pferden! Haben Sie sich trotzdem für ein neues, lebendiges Pferd entschieden (oder sind Sie gerade dabei), ist es ein sehr guter Anfang, die mögliche Tragweite dieser Entscheidung erst einmal anzuerkennen. Dann macht es Sinn, in Ruhe zu überlegen, welche Fragen, welche Werkzeuge und welche Schritte Sie jetzt weiterbringen können.
Auch wenn der innere Druck zu handeln groß ist – zu schnelle Antworten sind selten auch gute Antworten! Wenn Menschen bewusst wird, dass sie viel zu lange an den falschen Stellen (oder gar nicht) gesucht haben, wollen sie es oft jetzt mit Höchstgeschwindigkeit angehen. Aber das kann nicht funktionieren, wenn unsere Fragen sehr weitreichend und komplex sind.
|71| Unser Gehirn wählt konservativ
In diesem Kapitel möchte ich Ihnen einige, für unser Thema
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