Ihr Pferd ist tot - Steigen Sie ab
relevante Funktionsweisen unseres Gehirns erklären. Dadurch wird verständlich, warum meistens so viele Steine im Weg liegen, wenn wir uns verändern wollen. Und Sie werden lernen, wie Sie Neues »hirnge recht « entwickeln und in die Tat umsetzen können.
Zunächst einmal habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie: Die gute ist, dass Ihr Hirn – entgegen früheren Lehrmeinungen – heute als lebenslang lernfähig angesehen wird. Wenn Sie sich mit 70 noch entscheiden, Japanisch zu lernen, haben Sie dafür die ausreichende Hardware. Vielleicht fällt es Ihnen dann nicht ganz so leicht wie einem jungen Menschen, aber neurobiologisch steht dem nichts im Wege. Die schlechte Nachricht: Das Gehirn ist leider auch ein Gewohnheitstier, das lieber auf alte und vertraute Muster zurückgreift, als sich mit neuen herumzuplagen. Aber das ist kein Grund, sich entmutigen zu lassen – wir müssen nur lernen, richtig mit unseren grauen Zellen umzugehen!
Das Erbe unserer Evolution
Die Veränderungen, die unsere Kultur heute nur innerhalb der Lebensspanne eines Menschen erlebt, sind riesengroß. Ständige Weiterbildung und Selbstverwirklichung gehören heute einfach dazu. Vor ein paar tausend Jahren lebte es sich wesentlich gemächlicher – das Rad musste nicht täglich neu erfunden werden (sofern es überhaupt schon erfunden war). Unser Gehirn entwickelte sich in einer Zeit, in |72| der es nicht ständig mit ganz neuen Situationen konfrontiert wurde und sich deshalb nur über sehr lange Zeiträume anpassen musste.
Bevor er sich mit Panzern und schusssicheren Westen ausstattete, lebte der Mensch ziemlich wehrlos in einer gefährlichen Welt. Viel wichtiger für das unmittelbare Überleben war es, Gefahren schnell und effektiv zu begegnen, als neue Wege der Nahrungssuche und für einen bequemeren Alltag zu entwickeln. Und dafür greift das Gehirn auf gut trainierte Verhaltens- und Denkweisen zurück, die sich bewährt haben und reflexhaft sehr schnell ablaufen können – aber nicht unbedingt »vernünftig« sind. In dieser Logik steht Sicherheit immer über der Aufgeschlossenheit für Neues, und dies beeinflusst unsere Einschätzung von Gefahren: Wir neigen dazu, vertraute Risiken zu unterschätzen und Gefahren, die von neuen Erfahrungen ausgehen könnten, zu überschätzen. Wir akzeptieren scheinbar das Risiko eines Unfalls auf der Autobahn oder durch Rauchen und Übergewicht. Aber wir schrecken vor einem Jobwechsel zurück, weil uns die Gefahr eines unsicheren – neuen – Arbeitsplatzes inakzeptabel erscheint. Dass wir dabei einem archaischen Denkmuster folgen, ist uns wahrscheinlich nicht bewusst – wir glauben tatsächlich, objektiv zu denken.
Stellen Sie sich vor, Ihr Gehirn wäre für jede neue und scheinbar gute Idee offen und würde sich jedem spontan gefassten Vorsatz sofort anpassen und umprogrammieren. Erfahrungen hätten dann keinen Wert, es zählten nur die Erfordernisse des Moments. Wie ein Blatt im Wind würden wir mal so und mal ganz anders handeln und denken. Auf diese Weise könnte nicht die komplexe Sammlung an Eigenschaften entstehen, die wir »Persönlichkeit« nennen. Außerdem wären diese ständigen Umbauprozesse sehr unökonomisch, da jede Anpassung im Gehirn Energie verbraucht. Hätten wir so ein Hirn, wären wir wahrscheinlich schon lange ausgestorben. Unsere moderne Welt des schnellen Wandels aber fordert von uns ein hohes Maß an Anpassung und fördert unser Streben nach Selbstverwirklichung – und dabei steht uns die konservative Tendenz unseres Gehirns im Weg. Harald Welzer, Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research in Essen, formuliert es so: »Menschen scheuen Veränderungen, sie wollen, dass sich ihre Erwartungen bestätigen. Das Gerüst |73| Gewohnheit ist für unsere Existenzbewältigung von ungeheurer Bedeutung. Jeder Wechsel der Beziehung, des Wohnorts oder des Arbeitsplatzes erzeugt deshalb großen Stress.«
Eine fragwürdige Ordnung
Zu viele Informationen mit einem hohen Maß an Komplexität, die wir nicht verstehen und einordnen können, verunsichern uns generell. Das Gehirn versucht daher, schnell Struktur und Ordnung zu schaffen, indem es sich an Gewohntem orientiert und versucht, das Unbekannte in vertraute Kategorien einzuordnen. Stellen Sie sich vor, wir würden als Laien ein Chemielabor aufzuräumen versuchen, indem wir sämtliches Inventar in vier Kästen mit den Aufschriften »blaue«, »rote«, »schlecht riechende« und »andere« Sachen
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