Ihr Pferd ist tot - Steigen Sie ab
Sie damit und entwickeln Sie mögliche Projekte daraus in Verbindung mit Ihren Fähigkeiten. Wie Sie dies praktisch tun können, werde ich Ihnen in den letzten beiden Kapiteln erklären.
»Ich weiß aber gar nicht, was mich interessiert.«
»Wie hoch ist doch jede wahre Neigung zu schätzen in einer Welt,
wo Gleichgültigkeit und Abneigung eigentlich recht zu Hause sind.«
Johann Wolfgang von Goethe
Für diejenigen unter uns, die wissen, was sie wollen und was sie interessiert, ist es nicht leicht nachzuvollziehen: Es gibt nicht wenige Menschen, die keine oder nur sehr verschwommene Vorstellungen ihrer Interessen haben. Dies sind nicht unbedingt die chronisch Unentschlossenen, die offensichtlich nie wissen, was sie wollen, und dann lieber untätig bleiben. Ganz im Gegenteil!
Mir begegnen nicht selten sehr dynamische und erfolgreiche Menschen, die sofort sehr konkrete Angaben machen, wie ihr neuer Job aussehen soll. Aber sie beziehen sich dabei oft nur auf Zahlen und sachliche Kriterien, ohne dass sie dabei vermitteln, was ihnen wirklich am Herzen liegt. Ein höheres Gehalt, mehr Verantwortung, eine Führungsposition, ein internationales Betätigungsfeld, eine Projektleitung – klingt alles prima. »Aber warum interessieren Sie diese Punkte? Was versprechen Sie sich davon für Ihr Leben?«, möchte ich dann wissen. Auf diese Fragen bekomme ich dann keine oder ausweichende Antworten, und mein Gegenüber wird unsicher.
Denn viele Menschen definieren ihre Karriereziele, indem sie ihre bisherige berufliche Biografie einfach in die Zukunft verlängern – als würden sie ein Lineal anlegen und eine (natürlich nach oben zeigende!) Linie in die Zukunft ziehen. Was sie als Wünsche formulieren, sind dann nur die Konsequenzen ihrer Karrierelogik. Haben sie gestern ein Team mit fünf Mitarbeitern geleitet, müssen es morgen natürlich zehn sein. Logisch. Aber gleichzeitig fühlen sie sich immer unglücklicher mit ihrer Arbeit. Das passt nicht zusammen. Und kaum einer verspricht |191| sich wirklich mehr Zufriedenheit von seinen vordergründigen Karrierezielen. Nur: Was soll jemand tun, wenn er keine anderen Ziele kennt, an denen er sich orientieren könnte?
Ich erlebe oft folgendes Bild: Jemand hat scheinbar schon lange (manche schon immer) kaum Interessen, Hobbys oder Dinge, die mehr als nur oberflächlich Spaß machen. Mal ein Buch lesen, ins Kino gehen, eher lockere soziale Kontakte und ab und zu ein Urlaub, das war’s. Das bedeutet natürlich, dass er auch keine Idee hat, welche Arbeit ihm Freude und Sinn vermitteln könnte – denn seine jetzige Tätigkeit tut das nicht. Trotzdem ist er aber in seinem Job sehr engagiert, ehrgeizig und zielstrebig, sodass er als sehr erfolgreich gilt. Dadurch bleibt ihm wenig Zeit für ein Privatleben und private Interessen. Und das ist natürlich auch ein Vorteil, weil er nicht das Gefühl hat, viel zu verpassen, und sich nicht der schwierigen Frage nach seinen Interessen und (Lebens-)Zielen stellen muss.
Solange es mit der Karriere dynamisch vorangeht, scheint auch alles in Ordnung – bis Geld und Erfolg auch vordergründig keine Motivation mehr sind, um einfach immer so weiterzumachen. Wenn diese alten Verhaltens- und Denkmuster nicht mehr funktionieren, geraten viele Menschen in eine Krise.
Ein Klient von mir, nennen wir ihn Kai, war in genau dieser Situation. Er meinte wirklich verzweifelt: »Aber man muss doch wissen, was man will!« Nur hatte er leider überhaupt keine Idee, was das für ihn sein könnte. Normalerweise löste er Probleme, indem er sich noch mehr anstrengte. Doch das funktionierte hier natürlich nicht.
Im Coaching wurde dann klar, wie es gekommen war, dass er so wenig Zugang zu seinen Wünschen hatte: Schon als Kind bekam er vor allem für seine Leistungen in der Schule und beim Sport die Aufmerksamkeit seiner Eltern. »Das Gewinnen war natürlich immer viel wichtiger als die Freude am Spiel!« Als es darum ging, sich für einen Beruf zu entscheiden, ließen ihm die Eltern zwar »jede Freiheit«, aber Kai spürte zum ersten Mal, dass er – anders als viele Freunde – einfach nicht wusste, was sein Herz wollte. Er tat, was ihm und der Familie vernünftig erschien, und studierte BWL. Das ließ ihm viele Möglichkeiten – und schließlich könne er sich ja immer noch entscheiden, was er damit
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anfangen wollte. Es folgte eine Karriere wie vom Reißbrett mit Auslandserfahrungen, schnellem Aufstieg und früher Promotion. Jetzt, mit Ende dreißig,
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