Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
erst nach der Waffe gebückt, aber auch Gunther Schneider, in dessen Augen das ganze Ausmaß seines Rachedurstes funkelte, griff nach ihr. Dadurch behinderten sich die beiden Männer gegenseitig, und noch ehe Inga Jäger eingreifen konnte, war Achim Volz bereits heran und schlug mit dem langen Hirschfänger zu wie mit einer Machete.
Hoffmann sprang noch schnell genug zurück, aber Gunther wurde am Arm getroffen und schrie auf.
Inga Jäger stürmte los– doch sie kam zu spät.
Achim Volz hatte noch im Rennen die Luger vom Boden aufgerafft, war im Lauf herumgewirbelt und richtete die Mündung der Waffe jetzt auf sie alle abwechselnd.
Genau in dem Moment krachte von draußen ein Rammbock gegen die schwere Tür.
Das Einsatzkommando.
» Stopp!«, schrie Achim Volz und zielte auf Inga Jägers Gesicht, während er den Hirschfänger in den Gürtel steckte.
» Zugriff sofort abbrechen!«, rief sie. » Ich wiederhole: Zugriff sofort abbrechen!«
Draußen wurde es schlagartig still.
» Wieso haben Sie das getan, Frau Jäger?«, fragte Achim Volz, noch vor Anstrengung keuchend, und lehnte sich angeschlagen gegen das Gitter in seinem Rücken. » Es soll doch nur Gunther sterben.«
» Hören Sie auf, Achim!«, sagte sie und stellte sich zwischen ihn und Gunther Schneider. » Es sind bereits viel zu viele Menschen gestorben. Sie haben nach all der Zeit die Wahrheit endlich ans Licht gebracht, also lassen Sie es endlich gut sein!«
» Erst wenn Gunther tot ist. Er hat es verdient.«
» Warum?«, fragte sie. » Warum wollen Sie seinen Tod? Haben er und seine Familie nicht schon genug gelitten? Wie oft wollen Sie Gretchen denn noch rächen?«
» Er soll nicht sterben für das, was sein Vater Gretchen angetan hat«, sagte Volz. » Er soll sterben für das, was er meinem Großvater und mir angetan hat. Er hat uns zu Mördern gemacht.«
» Nein«, widersprach Inga Jäger. » Das war nicht er. Das haben Sie selbst getan. Dafür können Sie ihn nicht verantwortlich machen.«
» Ich sehe das anders«, sagte er. » Und jetzt gehen Sie zur Seite. Wenn ich mit ihm fertig bin, können Sie alle gehen. Das schwöre ich.«
Inga Jäger blieb stehen, wo sie war.
» Gehen Sie zur Seite!«, wiederholte er.
» Nein.«
» Gut. Dann haben Sie, was jetzt geschieht, sich selbst zuzuschreiben.«
Er hob die Pistole auf Augenhöhe und zielte auf ihren Kopf.
Da wurde sein eigener plötzlich rückwärts gerissen und schlug mit einem lauten Krachen gegen die Gitterstäbe hinter ihm… und noch ehe er einen Schuss abgeben konnte, hatte eine sehnige Hand von hinten sein Handgelenk gepackt und zerrte so heftig daran, dass die Luger zu Boden fiel.
Achim Volz schrie röchelnd auf, und seine Augen weiteten sich vor Überraschung und Panik.
Erst jetzt begriff Inga Jäger, was gerade geschah: Christophs zweite Hand hielt Volz’ Kehle umklammert und zog ihn immer fester gegen das Gitter seiner Zelle.
Sie sprang nach vorn und raffte die Pistole auf.
Sofort machte sie einen schnellen Schritt zurück und zielte auf Volz.
Seitlich hinter seinem Gesicht sah sie das engelsgleiche Antlitz des Insassen, der nicht die Spur angestrengt wirkte, während er Volz fest in der Umklammerung hielt.
» Danke, Christoph«, sagte Inga Jäger erleichtert. » Sie können ihn jetzt wieder loslassen.«
» Christoph ist nicht hier«, sang Monas helle Mädchenstimme aus seinem leise lächelnden Mund. » Er hatte zu viel Angst. Wie immer. Aber ich, ich habe keine Angst. Und du musst jetzt auch keine Angst mehr haben.«
Achim Volz schrie erstickt auf, und Inga Jäger erkannte, dass von unter Monas/Christophs fest in seinen Hals gegrabenen Fingernägeln Blut hervorsickerte.
» Mona!«, rief sie. » Lass ihn bitte wieder los!«
Doch Mona/Christoph reagierte nicht. Ihre/seine Augen blickten warmherzig in die von Inga Jäger. » Er wird dir nichts mehr tun«, sagte sie/er und begann ein Liedchen zu summen, während Achim Volz nun anfing, panisch mit den Füßen zu strampeln.
Inga Jäger erkannte das Lied– es war LaLeLu, das Schlaflied aus dem Heinz-Rühmann-Film Wenn der Vater mit dem Sohne.
Achim Volz versuchte sich zu wehren, doch trotz all seiner Kraft kam er nicht frei. Sein Röcheln wurde lauter, und seine Augen traten ihm weit aus den Höhlen. Das Blut an seinem Hals wurde immer mehr.
» Mona!«, rief Inga Jäger noch einmal. » Lass ihn los! Ich habe keine Angst mehr vor ihm. Er wird mir nichts tun!«
Aber die Finger des Engels krallten sich immer tiefer in
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