Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Jäger, würden Sie gern sprechen.«
Pause.
Eine lange Pause.
Dann: » Ist etwas passiert?«
» Dürfen wir reinkommen?«, fragte Gebert, und Inga Jäger war überrascht vom sanften Ton, den Gebert mit einem Mal angenommen hatte. Vielleicht war er ja letzten Endes doch nicht so ein grobschlächtiger Klotz, wie er aussah und sich gab.
» Natürlich«, erwiderte die Stimme in der Anlage. » Ich ziehe mir nur schnell etwas an.«
Der Summer des Tors wurde betätigt, und Inga Jäger und Kommissar Gebert betraten das Grundstück.
» Er zieht sich jetzt an?«, fragte Inga Jäger erstaunt. » Es ist schon bald Mittag.«
Gebert zuckte mit den breiten Schultern. » Das gehört wohl zu den Segnungen des Wohlstands.«
Sie warteten gut drei Minuten vor der Eingangstür, bis innen mehrere Riegel in den Schlössern gedreht wurden.
Inga Jäger zählte mit. Es waren insgesamt fünf.
» Und das nennt man dann den Fluch des Wohlstands«, flüsterte sie, ehe die Tür schließlich geöffnet wurde.
Der Mann dahinter sah tatsächlich so aus, als sei er gerade erst aufgestanden. Vermutlich hatten sie ihn sogar erst mit ihrem Klingeln geweckt.
Er trug einen fersenlangen, mitternachtsblauen Morgenmantel aus Satin und darunter eine Jogginghose und ein Paar Hausschuhe aus mausgrauem Filz. Sein fast schwarzes, ungemein dichtes Haar war völlig zerzaust, und er hatte dunkle Ringe unter geröteten und leicht zugeschwollenen Augen, die er im grellen Licht der durch die Wolken brechenden Sonne mit einem unterdrückten Stöhnen zu schmalen Schlitzen zusammengezogen hatte.
Offenbar ein Kater.
Heiko Reichard war Mitte vierzig, das wusste Inga Jäger aus den Daten, die Elli Falkenstein noch vor ihrer Abfahrt vom Ordnungsamt beschafft hatte, aber er sah um einige Jahre verlebter aus– wenn auch nicht unattraktiv.
» Was kann ich für Sie tun?«, fragte er heiser und trat wieder einen Schritt zurück in den Schatten hinter der Tür.
» Es geht um Ihre Frau«, sagte Gebert.
» Sieglinde?«
» Dürfen wir reinkommen?«
» Was ist mit ihr?«, wollte Heiko Reichard wissen und schmatzte mit trockenen Lippen; offenbar hatte er Durst. » Hat sie etwas angestellt, ein Verbrechen begangen?«
Inga Jäger wechselte einen kurzen Blick mit Gebert– und augenblicklich runzelte Reichard die Stirn.
» Ist… ist ihr etwas zugestoßen?« Da war plötzlich Angst in seinen dunklen Augen… und Sorge.
Inga Jäger spürte, wie ihr Magen sich verkrampfte. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, wie sie sich gefühlt hatte, als man ihr die Nachricht von der Ermordung ihres Mannes überbracht hatte. Auch sie hatte gewusst, was geschehen war, ehe es wirklich ausgesprochen worden war.
Sie sah, wie Reichards Körperspannung sich von jetzt auf gleich komplett löste und er fahrig nach der vergoldeten Türklinke griff, um nach Halt zu suchen.
Inga Jäger trat mit einem schnellen Schritt nach vorne, nahm die Hand und fasste ihn außerdem am Oberarm, um ihn zu stützen… und durch die Berührung zu trösten. Sie sah dabei aus dem Augenwinkel heraus, wie sich Gebert instinktiv anspannte und gleichzeitig so unauffällig wie möglich seine Rechte in die Nähe des Schulterholsters seiner Dienstwaffe brachte.
» Kommen Sie. Gehen wir hinein«, sagte Inga Jäger sanft zu Heiko Reichard, der sich willenlos von ihr in den geräumigen, mit weißem Carrara-Marmor gefliesten Hausflur führen ließ, der mehr repräsentatives Vestibül war.
Gebert folgte ihnen und schloss die Tür hinter sich.
» Ihre Frau ist tot«, sagte Inga Jäger, noch während sie von der Halle aus nach hinten in den daran anschließenden Salon gingen, um die schreckliche Qual der Ungewissheit, von der sie wusste, dass er sie empfand– falls er nicht selbst der Täter war–, nicht unnötig in die Länge zu ziehen.
Der Salon erinnerte Inga Jäger wegen seiner Form und der verspielt pompösen Art-Nouveau -Einrichtung an das Oval Office im Weißen Haus in Washington. Der Duft von Sandelholz, Granatapfel und Rosenblüten schwebte im Raum. Wahrscheinlich irgendein Potpourri. Durch die Sprossen der hinteren gardinengesäumten Bogenfenster sah man in einen akribisch gepflegten und doch wunderschönen Stadtgarten.
Reichards Beine gaben nach, aber sie hielt ihn aufrecht, führte ihn zu einem der dick gepolsterten Sofas und half ihm dabei, sich zu setzen. Auf dem Beistelltisch daneben stand ein in massivem Silber gerahmtes Bild von ihm und seiner Gattin.
Sieglinde Reichard war, wie Inga Jäger jetzt
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