Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
sehen konnte, wirklich eine wunderschöne Frau gewesen. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht an die verstümmelte Leiche auf dem Obduktionstisch zu denken.
Vergeblich.
Die Augen, mit denen Heiko Reichard sie noch immer ungläubig anstarrte, waren nicht länger nur gerötet, sondern auch feucht.
Sein Blick suchte wie verzweifelt in ihrem, um erkennen zu können, ob sie auch die Wahrheit sagte und nicht einen üblen Scherz mit ihm trieb.
Das Mitleid mit ihm sprengte ihr fast von innen heraus die Brust– und doch wusste sie, dass sie vielleicht gerade mit Sieglinde Reichards Mörder sprach. Sie nickte noch einmal versichernd und achtete dabei darauf, so ernst und mitfühlend zu wirken, wie sie es war, damit auch sein Unterbewusstsein erkannte, dass sie nicht log.
Dicke Tränen kullerten über seine dunklen Wimpern und flossen die unrasierten Wangen hinab.
» Sie… sie… sie wurde ermordet, nicht wahr?«, fragte er.
Inga Jäger war schlagartig alarmiert. » Was lässt Sie das vermuten?«
» Nun… Sie beide sind nicht von der herkömmlichen Polizei«, erklärte er leise, » sondern vom LKA und von der Staatsanwaltschaft. Also ist meine Frau nicht eines natürlichen Todes und auch nicht bei einem Unfall gestorben.«
» Ja, sie wurde ermordet«, sagte Inga Jäger und setzte sich ihm gegenüber in einen der stramm gepolsterten und mit altrosa Damast bezogenen Biedermeiersessel.
Gebert blieb stehen. Inga Jäger kam nicht umhin festzustellen, dass der KHK in dem luxuriösen Ambiente deplatziert wirkte… und sich wohl auch so fühlte.
» E… ermordet?«, fragte Reichard schwach.
» Ja.«
» Wie?«, wollte er wissen. » Was ist passiert?«
» Wo waren Sie zwischen halb elf gestern Abend und halb zwei heute Morgen, Herr Reichard?«, fragte Gebert, ohne auf die Fragen des offenbar völlig niedergeschlagenen Mannes einzugehen.
Reichard starrte ihn erstaunt an. Dann schien es ihm zu dämmern. » Sie… Sie verdächtigen mich?«
» Noch verdächtigen wir niemanden«, sagte Gebert. » Wir tragen nur Fakten zusammen. Also, wo waren Sie zwischen halb elf und halb zwei?«, wiederholte er.
Reichard zögerte, und Inga Jäger war sich nicht sicher, ob der Grund für dieses Zögern war, dass er sich tatsächlich zu erinnern versuchte. Möglicherweise suchte er auch nur nach einer Antwort, nach einer Lüge, die glaubhaft klang. Dann sagte er: » Ich war hier. Zuhause. Allein. Ich bin früh ins Bett.«
Jetzt wusste Inga Jäger, dass er log.
Die einzelnen Worte hatte er so abgehackt gesprochen, dass sie fest davon überzeugt war, dass er sich die Antwort, so knapp sie auch ausgefallen war, erst mühsam zurechtgelegt hatte. Außerdem hatten sie ihn gerade geweckt– und er machte ganz und gar nicht den Eindruck, über zwölf Stunden lang geschlafen zu haben.
» War Ihre Frau öfter über Nacht weg?«, fragte Gebert weiter. Der Hauptkommissar machte nicht wie viele Anfänger den Fehler, schon bei der ersten offenkundigen Lüge einzuhaken und damit dafür zu sorgen, dass der Verhörte sich weiteren Fragen verschloss.
Doch trotzdem starrte Reichard ihn nur mit seinen großen tränennassen Augen an, und Inga Jäger sah, wie seine Unterlippe zu beben begann und seine hängenden Schultern zu zucken.
Er umschlang seinen Bauch mit beiden Armen und schluchzte. Dann brach es aus ihm heraus, und er weinte haltlos. Sein Kopf sackte nach vorn, und sein gesamter Leib schüttelte sich.
Inga Jäger kannte diesen Moment.
Es war die Sekunde, in der die ganze schreckliche Wahrheit über einen hereinbrach und man akzeptierte, dass man nicht träumte. Dass der geliebte Mensch tatsächlich tot war.
Ermordet.
Es war gleichzeitig der Moment, in dem Inga Jäger wusste, dass Heiko Reichard nicht schuld war an der Ermordung seiner Frau Sieglinde. Dass er sie nicht fünfzig Kilometer westlich von hier dazu gezwungen hatte, sich in den Dreck eines Weinbergs zu knien, um sie kaltblütig zu erschießen und ihr dann das Herz herauszuschneiden. Ihre Intuition und all ihre Instinkte brachten sie zu der Überzeugung, dass er unschuldig war.
Sie schaute Gebert an, und auch er runzelte nachdenklich die Stirn. Dennoch holte er tief Luft, um die Befragung fortzusetzen.
Doch Inga Jäger schüttelte den Kopf, und er hielt inne.
Es war Zeit für den dritten Teil ihres Plans: den Trost.
Inga Jäger stand auf und setzte sich neben Heiko Reichard auf das Sofa, legte ihren Arm um seine Schultern und sagte leise: » Es tut mir leid.«
Da hob er den
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