Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Kopf wie in Zeitlupe und wandte ihr sein nasses Gesicht zu. Er zog lautstark die Nase hoch und riss sich dann zusammen. Er schien innerlich mit sich zu ringen, und es kostete ihn sichtbar große Anstrengung, jetzt zu sprechen.
Aber es gelang ihm schließlich… und Inga Jäger konnte nicht glauben, was er da sagte.
» Nehmen Sie mich fest.«
11
Inga Jäger nahm ihren Arm von Heiko Reichards Schultern und erhob sich vom Sofa, um so schnell wie möglich mindestens zwei Schritte zwischen sich und ihn zu bringen, für den Fall, dass der Mann, der gerade zu ihrer großen Überraschung darum gebeten hatte, festgenommen zu werden, etwas Unüberlegtes tat und Gebert seine Schusswaffe einsetzen musste.
Der in Tränen aufgelöste Reichard streckte die Hände nach vorn, und Gebert legte ihm mit gekonnten Bewegungen Handschellen an. Danach sackte er wieder zusammen und begann von neuem zu schluchzen wie ein Kind.
Inga Jäger deutete Kommissar Gebert mit einer Kopfbewegung, ihr zu folgen. Sie gingen in den Flur, von wo aus sie Reichard im Auge behalten und doch gleichzeitig sprechen konnten, ohne riskieren zu müssen, dass er es mithörte.
» Er ist unschuldig«, flüsterte Inga Jäger.
Gebert sah sie skeptisch an. » Er hat gelogen, als ich ihn gefragt habe, wo er vergangene Nacht zur Tatzeit war.«
» Ich weiß, dass er gelogen hat«, sagte die Staatsanwältin. » Und er hat auch ganz offensichtlich etwas vor uns zu verbergen, aber…«
» Aber?«
» Nun, ich bin mir einfach ziemlich sicher, er hat seine Frau nicht umgebracht. Schauen Sie sich ihn doch an.« Sie deutete auf den Gefesselten. » Die Nachricht, dass Sieglinde ermordet wurde, trifft ihn wie ein Hammerschlag, und er steht noch immer unter Schock.«
» Hm. Vielleicht ist er ja bloß ein guter Schauspieler«, gab Gebert zu bedenken.
Inga Jäger betrachtete Heiko Reichard noch einmal eingehend aus der Entfernung.
» Das ist natürlich nicht ausgeschlossen«, gab sie zu. » Aber ich glaube es nicht.«
» Und warum bittet er uns dann darum, ihn festzunehmen?«
» Keine Ahnung. Finden wir es heraus.«
» Aber dazu nehmen wir ihn mit aufs Revier, um das Verhör ordnungsgemäß protokollieren zu können.«
12
Landeskriminalamt Wiesbaden. Verhörzimmer 3 .
Heiko Reichard saß an dem schmucklosen Tisch wie ein Häufchen Elend; in sich zusammengesunken und mit einem Blick, der so leer war wie eine Flasche Pennerglück im Stadtpark bei Morgengrauen. Kommissar Gebert saß ihm gegenüber, und Inga Jäger hatte an der kurzen Seite des Tisches Platz genommen.
Die Stimmung war typisch für ein Verhörzimmer: eisig und unangenehm. Es war lausig kalt, das Licht war beschissen, die Stühle hart und unbequem, und es roch hier drin wie in der Jungenumkleide einer Sporthalle.
Vor Reichard war ein Kassettenrecorder aufgebaut, Modell Langelangevordigital, und Gebert drückte gerade auf Aufnahme. Die speckig glänzenden und am Rand dreckfleckigen Tasten wirkten unter seinen großen Fingern geradezu winzig. Die Kassette im Innern begann sich leise quietschend zu drehen.
» Nennen Sie uns bitte Ihren Namen.«
» Heiko Reichard.« Die noch immer schlafheisere Stimme war vollkommen kraftlos.
» Etwas lauter, bitte.« Gebert schob das wacklige Stativ mit dem Mikrophon ein Stück weiter in seine Richtung.
» Heiko Reichard.«
» Geburtsdatum?«
» 5. April 1966.«
» Geburtsort?«
» Eltville am Rhein.«
Inga Jäger horchte auf. Der Eichberg, auf dem man heute Morgen die zerquetschte Leiche seiner Frau gefunden hatte, gehörte zu der Stadt Eltville.
» Beruf?«
» Maler.« Er räusperte sich und fügte dann hinzu: » Also nicht Gebäude oder Wände, sondern Bilder. Kunst.«
Das klang in Inga Jägers Ohren so, als hätte er sich angewöhnt, das immer dazu zu sagen. Er schien also nicht besonders berühmt zu sein. Zumindest hatte sie noch nie von ihm gehört.
» Maler?« Gebert zog erstaunt die Augenbrauen nach oben. » Davon kann man sich ein Haus wie das Ihre mitten im Frankfurter Westend leisten?«
Heiko Reichard sackte noch ein Stück weiter in sich zusammen. » Manche Maler können das bestimmt. Ich leider nicht. Das Haus gehört meiner Frau.… Ich meine, es gehörte meiner Frau.«
Die bisherigen, zum Teil auch von Geberts Assistentin Otto geführten Ermittlungen hatten zutage gebracht, dass Sieglinde Reichard Kinderärztin war mit eigener, mehr als gut gehender Privatpraxis in Frankfurt. Ihr persönliches Einkommen betrug über eine Million Euro pro
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