Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Schlaraffenland viel eher ein Brutofen für Verletzungen und Eifersucht.«
» Nicht bei uns«, sagte Saskia überzeugt. » Es war, als würde man sich die Rosinen aus dem Kuchen picken, allerdings für uns alle drei. Ich durfte lieben und wurde geliebt, von einem Mann und einer Frau, ohne mich mit Alltäglichkeiten abgeben zu müssen. Heiko hatte die Liebe von gleich zwei Frauen, und Sieglinde musste ihren Mann nicht mehr mit fremden Frauen teilen und konnte dabei ihre ausgeprägte Bi-Ader ausleben. Außerdem war sie so richtig in mich verliebt.«
» Sie war verliebt in Sie?«
» Ja«, erwiderte die Arzthelferin mit einer schwärmerischen Note in der Stimme. » Tatsächlich war sogar Sieglinde diejenige, die das alles initiiert hat.«
» Wie?«, fragte Inga Jäger.
» Sie hat zunächst mich verführt, und als wir nach einiger Zeit merkten, wie gut wir zusammenpassen, haben wir gemeinsam Heiko verführt.«
Die Dinge sind nie so, wie sie zunächst scheinen, bemerkte Inga Jäger nicht zum ersten Mal in ihrer Laufbahn als Ermittlerin.
» Warum hat Heiko uns nichts davon erzählt?«, fragte sie.
» Ich glaube nicht, dass er im Moment klar denken kann«, sagte Saskia Lietzmann. » Immerhin ist seine Frau gerade umgebracht worden.«
» Fällt Ihnen sonst noch jemand ein, der als Sieglindes Mörder infrage käme?«
Sie überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. » Wir können die Patienten-Daten durchforsten, ob sich darunter vielleicht jemand befindet, der ein Motiv gehabt haben könnte, sie umzubringen. Aber ich bin der festen Überzeugung, das wäre reine Zeitverschwendung. Wir haben hier keine wirklich schweren Fälle, keines der Kinder ist gestorben, nachdem Sieglinde es behandelt hat; ich wüsste also nicht, warum irgendwelche Eltern einen Groll gegen sie gehegt haben könnten.«
» Das soll die Otto machen«, sagte Gebert, leerte seine Tasse und ging hinaus, um mit seiner Assistentin zu telefonieren.
» Es sieht nicht gut aus, oder?«, fragte Saskia Lietzmann leise.
Inga Jäger antwortete nicht und schaute ihr nur in die Augen. Sie war sich nicht sicher, ob sie Verachtung für die Arzthelferin empfinden sollte oder Mitleid.
» Ich wünschte ehrlich, ich könnte den Verdacht auf jemanden lenken, um Heiko zu entlasten«, sagte Saskia Lietzmann. » Aber die Wahrheit ist, Sieglinde Reichard war einer der liebenswertesten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie jemals irgendjemandem einen Grund geliefert hat, sie töten zu wollen.«
14
Villa Schneider. Parkstraße, Wiesbaden.
Zum dritten Mal an diesem Tag fuhren Inga Jäger und Kriminalhauptkommissar Gebert vor einem hochherrschaftlichen Gebäude vor– einer Jugendstilvilla aus Fachwerk mit schieferbedeckten Ziertürmchen. Es war die Villa von Sieglinde Reichards Vater, Dr. Gunther Schneider. Das Grundstück lag im Grünen hinter dem Hessischen Staatstheater und der Spielbank und grenzte direkt an den Kurpark. Man konnte kaum ruhiger und zugleich zentraler wohnen. Moosige Wiesen zwischen Platanen, Ulmen und Kastanien. Solche Immobilien gab es sehr selten zu kaufen, wusste Inga Jäger. Sie blieben für Generationen im Familienbesitz; ganz wie die Prachtgrundstücke an der Hamburger Elbchaussee. Sie waren ein Symbol für alten und weitervererbten Wohlstand.
» Ja«, seufzte Gebert, der ihren Blick richtig zu verstehen schien, während er den Wagen verriegelte. » Das ist die Krux, wenn man in Wiesbaden arbeitet. Wussten Sie, dass es hier und weiter oben im Norden, im Taunus, die höchste Millionärsdichte in ganz Deutschland gibt? Erinnert einen permanent daran, was man doch für ein kleines Licht ist.«
Auch wenn sie ihn nur zu gut nachvollziehen konnte, war Inga Jäger allmählich genervt von Geberts Sozialneid. » Wenn Sie zu wenig verdienen, ergreifen Sie doch einfach einen anderen Beruf«, sagte sie nüchtern.
» Als ob Leute wie ich das so ohne Weiteres könnten«, erwiderte er mit einem missmutigen Schnauben und wischte im Weitergehen mit dem Fuß durch einen vom Herbstwind zusammengetragenen Haufen goldbrauner Kastanien- und Platanenblätter. » Sie hätten aller Wahrscheinlichkeit nach noch das Zeug dazu, mit Ihrer akademischen Ausbildung und vom Alter her. Mit ziemlicher Sicherheit sogar. Anders als ich. Bei mir ist der Zug längst abgefahren.«
» Sie wissen doch, wie man sagt: Es ist nie zu spät, neu anzufangen.«
» Alles Sprüche. Kommen Sie erst einmal in mein
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