Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Alter, und dann sehen wir einmal, ob Sie das dann immer noch glauben«, sagte er. » Aber nein, das Alter ist ja auch gar nicht der Grund, dass ich nicht mehr wechsle.«
» Was denn dann?«
» Na, irgendjemand muss sich doch dem Chaos und dem Wahnsinn in den Weg stellen«, sagte er mit tiefer Melancholie in der Stimme, aber so überzeugend, dass Inga Jäger sofort wusste, dass es nicht gespielt und auch nicht ironisch gemeint war, sondern dass er tatsächlich so empfand. » Ich finde eben nur, es müsste ein bisschen besser bezahlt sein. Das ist alles.«
» Hey, ich bin Ihnen nur im Rahmen von Ermittlungsverfahren weisungsbefugt«, sagte Inga Jäger. » Nicht Ihre Vorgesetzte im hierarchischen Sinne. Gehaltsverhandlungen müssen Sie mit dem LKA führen.«
Er zog die Mundwinkel nach unten. » Hab doch schon längst die höchste Besoldungsgruppe erreicht. Mehr ist nicht.«
» Dann hören Sie endlich auf zu jammern wie ein Baby.«
Er stutzte– und blieb auf der Stelle stehen. Für einen Kerl seiner Größe sah er plötzlich reichlich verdutzt aus. Er schnappte nach Luft, wie um etwas zu erwidern, aber offenbar fiel ihm nichts Passendes ein.
» Na, ist doch wahr«, sagte sie mit einem Grinsen. Dem ersten des Tages.
» Ha-ha-haben Sie mich gerade eben allen Ernstes Baby genannt?«
» Wäre Ihnen Riesenbaby denn lieber?«
Mit einem Mal gluckste er vergnügt. » So hat seit über zwölf Jahren niemand mehr mit mir zu reden gewagt. Ja, ziemlich genau seit dem Tod meiner Frau.«
» Dann wurde es ja wohl mal Zeit.«
Auch er grinste jetzt. » Hm. Gar nicht mal schlecht für ’nen Grünschnabel.«
» Wen nennen Sie hier Grünschnabel?«, fragte sie gespielt herausfordernd zurück.
» Na, Sie.«
» Immer noch besser ein Grünschnabel als ein Jammerlappen.«
» J-J-Jammerlappen?!?«
» Yep.«
» Hm.« Er zögerte. » Jammre ich wirklich so viel?«
» Am laufenden Band«, sagte sie. » Ruiniert ein bisschen Ihren Macho-Auftritt von heute Morgen in den Weinbergen.«
» Mist«, sagte er und kickte wie ein störrischer Junge gegen einen imaginären Stein. » Mein Unterbewusstsein scheint gegen besseres Wissen beschlossen zu haben, Sie zu mögen. Sonst würde es Ihnen nicht so unverblümt meine weiche Seite zeigen.«
» Tja«, machte Inga Jäger. » Der Fluch einer jeden Frau. Wir stehen auf die ganz harten Kerle und wollen, dass sie uns mögen; aber kaum mögen sie uns, verwandeln sich die Bösen Wölfe in Kuschelbärchen und Weicheier. Ein echtes Dilemma.«
» He! Flirten Sie gerade mit mir?«
» Wovon träumen Sie nachts?«, fragte sie und lachte. » Aber wenn ich Ihnen gestehe, es als Kompliment zu betrachten, dass Sie mich mögen, hören Sie dann auf zu jammern?«
» Ist ja schon gut«, brummte er. » Ich hab gerade ohnehin wieder aufgehört, Sie zu mögen.«
» Gut«, sagte sie. » Dann können wir ja endlich weiterarbeiten.«
Sie stiegen die breite Freitreppe zu dem überdachten Portal der Villa hinauf, und Gebert klingelte.
Der Mann, der ihnen öffnete, war noch ein Stück größer als Gebert, aber eher sehnig bis hager. Er war Mitte, vielleicht sogar Ende siebzig und hatte zugleich die würdevolle Ausstrahlung eines Aristokraten. Obwohl er hier zuhause war, trug er einen perfekt sitzenden dreiteiligen Anzug mit weißem Hemd und dunkler Seidenkrawatte, die akribisch zu einem tadellosen doppelten Windsorknoten gebunden war.
» Doktor Gunther Schneider?«, fragte Inga Jäger.
» Der bin ich«, antwortete er. » Was kann ich für Sie tun?«
» Mein Name ist Inga Jäger, Oberstaatsanwältin, und das ist mein Kollege, Kriminalhauptkommissar Gebert. Es geht um Ihre Tochter Sieglinde…«
Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da fiel die aristokratische Haltung von ihm ab wie alter Putz von der Mauer, und er musste sich mit einer Hand am Türrahmen festhalten.
» Was… ist geschehen? Ist Sieglinde etwas zugestoßen?«
Inga Jäger und Kommissar Gebert wechselten einen überraschten Blick.
» Was lässt Sie das vermuten, Doktor Schneider?«, fragte Inga Jäger.
» Ihr Auftauchen, Frau Staatsanwältin«, antwortete er und gab sich Mühe, seine ursprüngliche Haltung wieder anzunehmen. » Ich versuche schon den ganzen Tag, sie zu erreichen. Und auch ihr Mann geht nicht ans Telefon. Also bitte, falls ihr etwas geschehen sein sollte, sagen Sie es mir.«
» Es… tut uns sehr leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, Doktor Schneider«, sagte Gebert. » Ihre Tochter ist tot. Sie wurde gestern Nacht in
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