Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
einzuschenken. Sie gab zwei Tütchen Zucker hinzu und etwas fettarme Milch, die sie aus dem Kühlschrank neben der Anrichte holte. Vollmilch war ihr lieber; aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Unwillkürlich musste sie schmunzeln, als ihr einfiel, dass das einer der Lieblingssprüche ihrer Großmutter gewesen war.
Oma Thea war ein wandelndes Lexikon solch simpler Lebensweisheiten gewesen. Stets hatte sie zum Beispiel Inga, als sie noch klein war, dazu ermutigt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dabei hatte sie, anders als die meisten, nie das Wesentliche betont, sondern das Konzentrieren; das Wesentliche setzte sie voraus, das Konzentrieren war die Aufgabe.
Finde die Pistole, und du findest den Täter.
Inga Jäger nahm ihren Kaffee, der trotz der dünnen Milch köstlich duftete, und ging zurück zu dem Tisch, an dem Elli Falkenstein bereits Platz genommen hatte und gerade über ihr Käsebrötchen herfiel wie ein Goldhamster nach dem Winterschlaf.
» Na los, fragen Sie schon endlich, ehe Sie mir noch platzen«, sagte die Forensikerin mit vollem Mund, während Inga Jäger sich ihr gegenübersetzte.
» Nö«, erwiderte Inga Jäger und nahm sich in aller Seelenruhe aus der Tüte mit den kleinen Kuchen einen lecker klebrigen Kopenhagener, die man hier Apfeltasche nannte. Die Frau hinter der Theke der Bäckerei hatte sogar Abbeldasch gesagt.
» Sie platzen bestimmt viel früher als ich«, sagte sie und biss herzhaft in das Teilchen.
Elli Falkenstein gluckste vergnügt und hätte sich dabei beinahe an ihrem eigenen, viel zu großen Bissen verschluckt.
Inga Jäger lächelte und nahm einen Schluck Kaffee. Sie wusste, dass die kleine Technikerin wie wild darauf brannte, nach der durchgearbeiteten Nacht ihre Erkenntnisse mitzuteilen; auch wenn sie so tat, als wäre das anders.
» Ich mag es, wenn Menschen mich durchschauen«, sagte Elli mit einem Kichern. » Passiert viel zu selten. Viel zu selten. Hihi.« Trotzdem nahm sie erst noch einen großen Bissen, und Inga Jäger dachte, dass sie sie viel mehr noch als an einen Goldhamster oder eine Maus an einen kleinen, gierigen Gnom erinnerte. Aber an einen äußerst liebenswerten. Sie brach eine Ecke der Blätterteigtasche ab und schob sie sich in den Mund, um sich selbst daran zu hindern, ihrer in Wahrheit nur mühevoll unterdrückten Ungeduld doch noch freien Lauf zu lassen.
Es war ein bisschen wie Beamten-Mikado: Wer sich zuerst bewegt, verliert.
» Also gut«, sagte Elli Falkenstein schließlich, nachdem sie geschluckt hatte. » Raten Sie!«
» Nö.«
» Na, kommen Sie schon!«
» Sagen Sie es doch einfach«, lockte Inga Jäger.
» Mann-Mann-Mann«, sagte Elli Falkenstein. » Sie sind gut. Sogar verdammt gut.«
» Oh ja, das bin ich. Aber Sie sind auch nicht schlecht. Essen wir erst einmal in aller Ruhe zu Ende. Die Ergebnisse können warten.«
Schachmatt, dachte Inga Jäger innerlich grinsend, als Elli Falkenstein sie jetzt mit offenem Mund, vor dem der Rest ihres Käsebrötchens in ihrer kleinen Hand schwebte, anstarrte.
» Okay, Sie haben gewonnen«, beeilte sie sich zu sagen. » Ich weiß, mit welcher Pistole die Kugel abgefeuert wurde.«
» Sie haben die Tatwaffe?«
» Sind Sie verrückt?« Elli Falkenstein sah sie an, als wäre Inga Jäger gerade eine besonders hässliche und schleimige Kröte aus der Stirn gewachsen.
» Das haben Sie doch eben gesagt. Haben Sie nicht?«, fragte Inga Jäger gespielt unschuldig und ganz gezielt den Sprachrhythmus der kleinen Technikerin übernehmend.
» Nein«, sagte Elli Falkenstein, und ihr kleines Gesicht zog sich zu einer unwirschen Maske zusammen. » Habe ich nicht. Das habe ich ganz bestimmt nicht. Ich müsste mich doch daran erinnern, wenn ich so etwas gesagt hätte. Nicht wahr?«
Inga Jäger atmete so unauffällig wie möglich tief ein. Das Spiel war sehr viel anstrengender, als ihr lieb war. Und es hörte auch gerade auf, lustig zu sein.
» Entschuldigung«, sagte sie daher, diesmal ernst. » Ich habe Sie falsch verstanden.«
» Sie wollten mich falsch verstehen«, sagte Elli, und ihr Gesicht glättete sich wieder zu einem leichten Lächeln. » Ungeduld. Kann ich nachvollziehen. Staatsanwälte müssen ungeduldig sein. Anders als Leute wie ich. Wir müssen geduldig sein. Schritt für Schritt. Stein für Stein.«
Inga Jäger hatte beschlossen, sich von Elli Falkenstein nicht mehr nerven zu lassen; aber sie musste sich eingestehen, dass das eine ziemlich große Herausforderung war.
» Sie
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