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Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Hagen
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Hälfte.
    » Ein Hirschfänger«, sagte Dr. Busch. » Wird bei der Jagd eingesetzt für das Abfangen von Wild.«
    » Abfangen?«
    » Das finale Töten, wenn das Wild nur angeschossen ist«, erklärte Dr. Busch. » Manche Situationen verbieten einen weiteren Schuss wegen der Gefahr eines Abprallers oder Querschlägers, wenn in der Nähe zum Beispiel Häuser sind oder eine Straße.«
    » Wie wird sie angewendet?«
    » Die Klinge wird zwischen die Rippen gestochen, von schräg unten in Richtung Kopf, und dann dreht man sie mit voller Kraft, bis sie verkantet, um so die Lunge zum Kollabieren zu bringen und wenn möglich das Herz und die umliegenden Arterien zu verletzen, um auf diese Weise die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn zu kappen, was dann relativ rasch zum Tode führt.«
    Inga Jäger schüttelte sich bei der Vorstellung.
    » Die Spitze ist abgerundet«, wunderte sie sich.
    » Aber geschärft«, sagte die Rechtsmedizinerin. » Wegen der Knochengierigkeit.«
    » Knochengierigkeit?«
    » Sehr spitze Klingen neigen dazu, sich in der Oberfläche eines getroffenen Knochens festzusetzen«, erläuterte Dr. Busch. » Deshalb rundet man sie bei Abfangmessern wie dem Hirschfänger ab, um sich mit ihnen den Weg durch die Rippen besser bahnen zu können. Aus dem gleichen Grund ist die zweite Seite auch nur im vorderen Drittel bis maximal zur Hälfte geschliffen, damit sie sich beim Verkanten nicht feststeckt.«
    » Dann war bei Sieglinde Reichard ein Fangstich nötig?«
    » Nein«, sagte die Ärztin. » Die Kugel hatte ganze Arbeit geleistet. Der Hirschfänger wurde nur, weil er sich dazu extrem gut eignet, zum Aufbrechen des Thorax verwendet und zum Herausschneiden des Herzens.«
    Eine Pistole aus dem Zweiten Weltkrieg und ein Messer, das von Jägern benutzt wurde. Der Fall wurde immer skurriler.
    Ingas Handy klingelte. Sie holte es aus der Tasche und nahm den Anruf entgegen.
    » Gebert hier. Wo sind Sie gerade?« Direkt. Schnörkellos.
    » Guten Morgen«, sagte sie. » Im Forensischen Institut.«
    » Kommen Sie in den Rheingau«, verlangte er. » Nach Eltville. Fahren Sie hinter der Burg nach Süden zum Rheinufer. Ich treffe Sie dort in etwa zwanzig Minuten.«
    » Was haben Sie gefunden?«
    » Das zeige ich Ihnen, wenn Sie da sind.«
    Damit hatte er auch schon aufgelegt, ohne sich zu verabschieden.

19
    Eltville. Rheinufer.
    Die breiteste Stelle des Rheins liegt zwischen Eltville und den dazu zählenden Ortschaften und der westlichen Nachbargemeinde Oestrich-Winkel. Der majestätische Strom ist hier zwischen achthundert und tausend Metern breit. In der Mitte zwischen Eltville und der anderen Rheinseite liegt die Eltviller Aue. Eigentlich heißt sie offiziell Königsklinger Aue, aber kein Mensch nennt sie so. Sie ist doppelt so groß wie die Insel Mainau im Bodensee bei Konstanz, doch anders als jene so gut wie unbewohnt.
    Inga Jäger parkte ihren Mercedes auf einem Schotterplatz am Rheinufer, schaltete den Motor ab und stieg aus. Dieses Mal hatte sie daran gedacht, sich flachere Schuhe anzuziehen.
    Hier draußen war es herbstlich frisch, roch intensiv, aber nicht unangenehm nach Fluss, und dicke, dichte Nebelfelder und -schwaden waberten gespenstisch langsam über das leise an die schräg abfallende Ufermauer plätschernde Wasser.
    Die ersten Kraniche zogen klagend gen Süden. Der Winter war nicht mehr weit.
    Inga Jäger klappte ihren Kragen hoch gegen die Kälte, blickte sich um und sah zwei geparkte Wagen– einer davon der von Kommissar Gebert, aber von dem Mann selbst keine Spur.
    Trotz des Wassers und der Kraniche war es so still, dass ihr ihre eigenen Schritte auf dem Gemisch aus Sand, Erde und Stein überlaut vorkamen.
    Es war hier beinahe noch unheimlicher als vorhin in den verlassenen Fluren des Forensischen Instituts.
    Sie wollte schon ihr Handy aus der Tasche nehmen und Gebert anrufen, da wurde sie aufmerksam auf ein neues Geräusch. Es kam vom Wasser her, und als alte Hamburgerin erkannte sie es sofort: Es war ein Schiffsmotor.
    Das Geräusch wuchs an, und sie hörte, dass es näher kam. Dann erblickte sie die Silhouette eines großen Motorboots, das mit langsamer Fahrt auf sie zuhielt. Nachdem die Kontur sich aus dem Nebel geschält hatte, erkannte sie, dass es ein Polizeiboot war, und sah Gebert vorne am Bug stehen.
    Mit breit auseinandergestellten Beinen und in den Taschen seines wehenden Mantels vergrabenen Fäusten wirkte der glatzköpfige Hüne wie ein Seemann aus lange vergessenen Tagen. Und ebenso grimmig

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