Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Potenz fördernde Salbe zu kochen, die sie dann wiederum ihren kranken, pädophilen Freiern für ein kleines Vermögen verkauft hat.«
» Sie haben mir das ganze schöne Geld weggenommen«, klagte die Frau auf Knien unvermittelt. » Dabei war es so hart verdient. Haben Sie schon mal jemanden umgebracht? Wissen Sie, wie schwer das ist? Wie oft man zuschlagen muss, bis sie endlich aufhören zu strampeln und zu zucken? Keine einfache Sache. Man braucht eine Weile, bis man den Dreh heraus hat. Ich will hier raus, verdammt, und ich will mein Geld zurück!«
Inga Jäger drehte sich der Magen um. In Momenten wie diesen fragte sie sich immer wieder, ob sie nicht zu zart besaitet war für ihren Job– und kam aber, wie auch jetzt, jedes einzelne Mal zu dem Schluss, dass es genau diese Empfindlichkeit und ihr leicht erregbares Mitgefühl mit den Opfern waren, die sie bei ihrer Arbeit so gut und erfolgreich machten.
» Sehen Sie, Sie hätten auf den Rat des Professors hören und nicht fragen sollen«, raunte Gebert, der ebenfalls mit einem Mal ganz blass geworden war, ihr zu.
» Bitte kommen Sie weiter«, drängte Professor Götz.
Diesmal folgte Inga Jäger ihm ohne weiteren Einwand und ließ die Zelle der Frau, die jetzt amüsiert zu kichern begonnen hatte, hinter sich. Und damit auch jede Spur von Mitleid mit ihr.
Am Ende des langen Ganges befand sich eine weitere schwere Eisentür, die Professor Götz jetzt mit einem Schlüssel aufsperrte, den er bei sich trug.
Dahinter ein fast quadratischer Flur mit nur noch zwei Türen. Beide massiv. Keine Gitter.
» Strikte Isolation«, kommentierte Professor Götz das Offensichtliche.
Als er einen zweiten Schlüssel in das Schloss der rechten Tür schob, begann es dahinter plötzlich lautstark und wild zu poltern. Jemand stieß Schreie aus, die unmöglich einer menschlichen Kehle entstammen konnten. Es hörte sich vielmehr so an wie ein in Rage geratenes wildes Tier.
Inga Jäger folgte ihrem Instinkt und griff nach ihrer Waffe am Gürtel. Doch Professor Götz beruhigte sie. » Die werden Sie nicht brauchen. Hinter der Tür befindet sich ein Schutzgitter.«
Dennoch behielt sie die Hand am Griff der Pistole.
Was sie dann sah, überstieg beinahe ihr Fassungsvermögen. Hinter der Tür war tatsächlich, im Abstand von vielleicht einem halben Meter, ein weiteres Gitter. Dahinter wiederum lag eine geräumige Zelle ohne jedwedes Mobiliar. Es gab nicht einmal eine Pritsche oder einen Stuhl. Der Boden war hier tatsächlich mit Stroh und Sand ausgelegt wie ein Tierkäfig im Zirkus.
Das Wesen, das darin schreiend und brüllend tobte und aufgeregt hin und her sprang wie ein zorniger Gorilla, glich erst beim zweiten Hinsehen einem Menschen.
Es war ein Mann Mitte sechzig. Er war nackt und sehnig, und er schlug sich mit den Rücken seiner halb zu Fäusten gekrümmten Finger immer wieder gegen die Brust.
» Oh mein Gott«, entfuhr es Inga Jäger.
» Das ist nur sein typisches Drohgebaren, um sein Territorium zu verteidigen«, sagte Professor Götz. » Wenn wir nicht näher kommen, wird er sich gleich wieder beruhigen.«
» Hält er sich wirklich für einen Affen?«, fragte Gebert skeptisch über das Lärmen hinweg.
» Mit jeder Faser seines Seins«, antwortete Professor Götz. » Er leidet unter klinischer Therianthropie.«
» Schizophrenie?«, fragte Inga Jäger. » Wie bei Menschen, die glauben, sie wären Werwölfe?«
» Nur zum Teil«, erwiderte Götz. » In seinem Fall hat die Auffälligkeit oder Störung auch neurologische und neuropsychologische Ursachen. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, der Teil seines Gehirnes, der unsere körperliche Wahrnehmung bestimmt, unser Body Image, gaukelt ihm das Körperschema eines Gorillas vor.«
» Was bedeutet das?«
» Er fühlt sich auch rein physisch und von den Bewegungsabläufen her wie ein Gorilla«, erklärte der Arzt. » Was hier Ursache ist und was Wirkung– also ob zuerst die Vorstellung die Vorgänge im Gehirn beeinflusst hat oder aber Fehlbildungen im Gehirn verantwortlich waren für die Vorstellung–, lässt sich heute nicht mehr feststellen, doch dieser Zustand ist permanent, sodass im Laufe der vier Jahrzehnte, die er jetzt hier ist, der menschliche Teil der Psyche immer weiter in den Hintergrund gedrängt wurde und inzwischen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht mehr existiert.«
» Es gibt also kein periodisches Hin- und Herwechseln zwischen diesem Zustand und zumindest entfernt menschlichem
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