Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
gemütlich und heimelig eher kratzig und unheimlich.
Inga Jäger fiel sofort auf, dass auch hier oben die Fenster vergittert waren.
» Die stammen noch aus der Zeit, als das Gelände noch zum benachbarten Kloster Eberbach gehörte und zur, wie man es damals nannte, Irrenanstalt umfunktioniert wurde«, sagte Professor Götz, der offenbar ihrem Blick gefolgt war. » Heute jedoch sind wir eine hochmoderne Klinik für Psychiatrie. Es besteht also kein Grund zur Sorge.«
» Aber Sie haben auch heute noch als besonders gefährlich eingestufte psychisch kranke Straftäter in Sicherungsverwahrung, wenn ich mich richtig informiert habe«, sagte Inga Jäger und nahm Platz in einem der ledernen Sessel, den Professor Götz ihr mit einer freundlichen Geste anbot.
Gebert setzte sich neben sie.
» Das entspricht den Tatsachen«, antwortete der Klinikleiter und machte es sich ihnen gegenüber auf einem Sofa bequem. » Und auch schuldunfähige Straftäter im Maßregelvollzug. Aber das Gebäude, in dem sie verwahrt sind, liegt weiter oben am Hang und ist mehrfach gesichert.«
» Gab es von dort in letzter Zeit Ausbrüche?« Gebert kam direkt auf den Punkt.
» Nicht in den elf Jahren, in denen ich jetzt hier arbeite«, erwiderte Professor Götz.
» Wie sicher sind Sie sich dessen?«
» Absolut. Wir machen jeden Tag eine Zählung.«
» Auch gestern und heute?«
» Wie ich sagte, jeden Tag.«
» Dürften wir diese Unterlagen überprüfen?«, fragte Inga Jäger.
» Sie glauben mir nicht?«
» Professor Götz, es ist meine Pflicht als Staatsanwältin, sicherzugehen und mich selbst zu informieren und zu vergewissern«, antwortete sie diplomatisch. Sie durfte nicht riskieren, dass Professor Götz sie anlog, um möglicherweise einen Fehler in seinem Sicherheitssystem zu vertuschen.
» Selbstverständlich«, sagte er und erhob sich wieder von seinem Platz.
Er ging zu seinem Schreibtisch und holte etwas, das wie ein altmodisches Kassenbuch aussah. Er schlug es auf, blätterte darin und hielt es dann, als er gefunden hatte, was er suchte, aufgeschlagen vor Inga Jägers Nase.
» Hier«, sagte er und deutete mit dem Zeigefinger auf eine mit ausgesprochen akkurater Handschrift ausgefüllte Tabelle.
Inga Jäger nahm das Journal entgegen und sah sich die Daten und Zahlen genauer an. Im vergehenden Monat, den die Seite abbildete, gab es weder Zu- noch Abgänge; also auch keine Ausbrüche. Alles schien in bester Ordnung.
Sie nickte, schlug das Buch zu und reichte es ihm zurück.
Er legte es wieder auf den Tisch und setzte sich zurück auf seinen Platz. » Würden Sie mir bitte sagen wollen, worum es geht?«, fragte er– und es klang mehr nach einer autoritär geäußerten Aufforderung als nach einer Frage.
» Noch nicht«, antwortete Inga Jäger. » Wir gehen nur einem zunächst vagen Verdacht nach.«
» Vielleicht kann ich Ihnen besser helfen, wenn ich weiß, worum es geht.«
» Am besten können Sie der Staatsanwaltschaft helfen, wenn Sie mir eine Liste all der Insassen und auch Mitarbeiter geben, die sechsundzwanzig Jahre und länger hier sind.«
Seine dunklen Augen weiteten sich erstaunt, verloren aber nichts von ihrer forschenden Eindringlichkeit– eher im Gegenteil.
» Hat das etwas zu tun mit dem Polizeiaufgebot von gestern Morgen?«, fragte er.
Das Bergen der Leiche von Sieglinde Reichard war also nicht so unbemerkt geblieben, wie Inga Jäger gehofft hatte.
» Wie schnell könnten Sie mir eine solche Liste zusammenstellen?«, fragte sie, ohne auf seine Frage einzugehen.
Sein Blick verengte sich wieder, und er spielte den Ball zurück, indem er ihre Frage erst gar nicht beantwortete.
» Womöglich ist unser Verdacht ja völlig unbegründet«, sagte sie freundlich gelassen. » Und ein richterlicher Beschluss wäre für alle Beteiligten nur überflüssige Bürokratie.«
» Insassen, die so lange hier sind, gibt es nur zwei.« Er hatte ihren Wink mit dem Zaunpfahl verstanden und war augenscheinlich nicht daran interessiert, dass eine Horde von Ermittlern mit richterlicher Befugnis seine Klinik auf den Kopf stellte.
Jeder Mensch hat irgendetwas zu verbergen, das hatte Inga Jäger in ihrem Job gelernt. Das galt doppelt und dreifach für Institutionen wie diese, die es irgendwie immer wieder schafften, die Kosten für ein Patientenjahr mit fast einhunderttausend Euro darzustellen, was ganz locker einem ganzjährigen Luxus-Aufenthalt in einem gehobenen Vier-Sterne-Hotel entsprach, während sie sich im normalen
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