Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Hagen
Vom Netzwerk:
dem Gürtelholster und überprüfte sie sorgfältig.
    Sie liebte das Gewicht der schwarz mattierten Waffe und das Gefühl von Macht, die sie ihr verlieh. Es war eine ganz andere Macht als die, die sie mit ihrem Dienstausweis auszuüben berechtigt war. Rauer, direkter und im Fall der Fälle auf willkommene Weise unzivilisiert.
    Obwohl sie für ihre relativ kleinen Frauenhände eigentlich zu groß war, hatte sie die P250 gewählt statt der wesentlich kleineren P230 oder der SIG Mosquito, die ihr vom Waffenmeister empfohlen worden war, weil sowohl Reichweite, Zielgenauigkeit als auch Durchschlagkraft der von ihr verwendeten .375 SIG - Munition wesentlich größer waren und sie dafür gerne in Kauf nahm, nicht einhändig schießen zu können. Die Mannstopwirkung selbst eines einzigen Treffers auch auf größere Entfernungen war unübertroffen, und die Patronen waren sogar dazu in der Lage, Schutzwesten zu durchdringen.
    Sie zog Schutzbrille und Ohrenschützer auf. Letztere waren ihr lieber als die Ohrenstöpsel; sie mochte das Gefühl nicht, dass ihr irgendwas in den Ohren steckte.
    Noch ein letzter Check der Waffe, dann entsicherte sie sie und nahm Haltung an: Linker Fuß vor und parallel zur Wand der Ablage, den anderen etwa sechzig Zentimeter dahinter, also Schulterlinie neunzig Grad zum Ziel. Rechter Ellbogen hoch, Trizeps, Schulter-, Bauch- und Trapezmuskel auf leichte Spannung bringen. Linke offene Faust von halb unten gegen Pistolengriff und die untere Hälfte der Rechten. Fließende, gleichmäßige Atmung. Unangestrengt zielen.
    Den Geist die Position überprüfen und abgleichen lassen mit geprägter Erinnerung.
    Rechtes Auge, Kimme, Korn, Ziel– eine Linie.
    Entspannt halten.
    Feuer!
    Der erste Schuss ging direkt ins Herz der auf der Zielkarte angebrachten Menschensilhouette.
    Im Fluss des Atmens neu anvisieren. Diesmal der Bauch.
    Zentraler Treffer.
    Die Wucht der Schüsse wirkte befreiend. Das Herz schlug schneller. Akzeptieren, nicht dagegen ankämpfen– nur das Atmen angleichen.
    Dritter Schuss– Kopftreffer. Genau zwischen die Augen.
    Ein guter Schütze zu sein, ist keine Frage von Talent und Treffen keine Glückssache. Es ist zu neunzig Prozent hartes Training und zu zehn Prozent Kenntnis der Waffe, die man benutzt.
    Inga Jäger zielte wieder auf das Herz, schloss die Augen und betrat ihren mentalen Gerichtssaal.
    Diesmal hatte sie als Kulisse einen großen, sonnendurchfluteten Pavillon auf einer Klippe über dem Mittelmeer gewählt, um der Bedrückung entgegenzuwirken, die der Fall in ihr auslöste. Anwesend waren außer ihr selbst, Oma Thea und Iny auch die sechs Mordopfer– in ihrer Vorstellung zwar lebendig, aber stumm und Statuen gleich nebeneinander in einer Reihe aufgestellt.
    Iny ging sie gerade der Reihe nach ab und nannte ihre Namen und das Jahr ihres Todes.
    » Sieglinde Reichard, 2010. Zum Zeitpunkt ihrer Ermordung einundvierzig Jahre alt. Magda Eser, 1997; ebenfalls einundvierzig. Marlene Krüger, 1984; dreißig Jahre. Anna Gerlach, 1971; zweiundzwanzig. Sophia Kühne, 1958; dreiundzwanzig… und Eva Schneider, 1945; gerade mal zwölf.«
    » Das Alter scheint also keine ausgeprägte Relevanz zu besitzen«, sagte Oma Thea.
    » Die Berufe ebenso wenig«, sagte Inga. » Sieglinde war Kinderärztin, Eva zu jung, um schon arbeiten zu gehen, Anna und Sophia waren frischgebackene Ehe- und Hausfrauen, Marlene Krüger war Fabrikarbeiterin und Magda Eser Vorstandsassistentin.«
    » Also habt ihr außer der äußeren Ähnlichkeit noch keine anderen Verbindungen zwischen ihnen herstellen können?«, fragte Oma Thea.
    » Geberts Assistentin ist gerade dabei, das zu untersuchen«, sagte Inga.
    Iny blieb vor der gerade mal zwei Jahre älteren Eva stehen. » Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass sie für etwas ermordet wurden, das sie getan haben.«
    » Was lässt dich das glauben?«, fragte Oma Thea.
    » Was könnte denn dieses zwölfjährige Mädchen getan haben, dass sie es verdient, hingerichtet zu werden?«, fragte Iny zurück.
    Inga verstand, was Iny meinte. Für Mord gab es die unterschiedlichsten Motive, Impulse oder Affekte– Hinrichtung aber war grundsätzlich eine Bestrafung.
    » Du meinst, er hat sie für etwas bestraft, was eine andere ihm angetan hat?«, fragte Oma Thea.
    » Das habe ich ebenfalls schon vermutet«, sagte Inga und erinnerte sich an die Besprechung mit ihrem Team. » Es entspräche dem Profil vieler Serientäter: Rache an Avataren– an optisch ähnlichen Stellvertretern

Weitere Kostenlose Bücher