Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Finden wir erst einmal heraus, in welcher Verbindung er zu dem ersten Opfer stand.«
» Ich rufe die Otto an, damit sie weiß, wonach sie suchen soll.«
44
Wiesbaden. Nähe Stadtpark.
Zwei rechercheintensive Stunden später jagte eine kleine Schlange von vier Einsatz- und Streifenwagen der Wiesbadener Polizei die Bierstädter Straße entlang und von dort aus über die Bodenstedtstraße in die Parkstraße.
Inga Jäger hatte den Einsatz von Blaulicht und Sirenen untersagt, damit Dr. Gunther Schneider nicht vorgewarnt wurde.
Sie und Kommissar Gebert saßen in dem ersten Wagen, den die Otto gekonnt steuerte.
Wie verabredet hielten sie alle in einem Abstand von etwa zweihundert Metern von der Schneider-Villa am Straßenrand.
Gebert wandte sich mit letzten Instruktionen an seine entschlossen dreinblickende Assistentin. » Ihr wartet hier und sichert die Straße, falls er fliehen will.«
» Sollen wir nicht besser gleich mitkommen?«, fragte sie– und für Inga Jägers Ohren klang sie weniger dienstbeflissen als besorgt.
» Nein«, erwiderte Inga Jäger an Geberts Stelle. » Wir gehen zunächst einmal allein rein, um so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Falls es dennoch Probleme geben sollte, rufen wir euch.«
Gebert hatte bereits bei der Planung des Einsatzes mehrfach versucht, Inga Jäger auszureden, bei der Verhaftung von Dr. Schneider dabei zu sein, aber sie hatte davon nichts wissen wollen. So stiegen sie jetzt beide aus und gingen den Rest des Weges zu Fuß.
» Sie denken bitte daran, dass er, nach allem, was wir wissen, bewaffnet ist«, sagte Gebert.
» Das sind wir auch«, erwiderte Inga Jäger kalt.
» Mir ist trotzdem nicht wohl dabei, dass Sie als Staatsanwältin…«, wollte er wieder anfangen.
» Das Thema ist durch, Gebert«, sagte sie entschieden. » Finden Sie sich damit ab.«
» Aber ich kann mich darauf verlassen, dass Sie tun, was ich sage, wenn ich es sage?«
» Versprochen«, gab sie ihr Wort. » Sie leiten den Einsatz. Ich bin nur zu Ihrer Unterstützung hier… und weil ich dabei sein will, wenn wir ihn greifen.«
Sie standen kurz davor, den mutmaßlichen Mörder der sechs Frauen und Mädchen dingfest zu machen; einen der schlimmsten Verbrecher, mit dem es Inga Jäger in ihren beiden Laufbahnen als Polizistin und Staatsanwältin jemals zu tun bekommen hatte, wenn nicht sogar der schlimmste überhaupt.
Wenn alles gut ging, würde sie in den nächsten Minuten das Versprechen, das sie dem Geist der toten Sieglinde Reichard gegeben hatte, erfüllen und konzentrierte sich ganz auf die vor ihr liegende Aufgabe.
Sie betraten das weitläufige Grundstück durch das offen stehende schmiedeeiserne Tor, überquerten es zügig und stiegen die Treppe zur Tür hinauf.
» Bereit?«, fragte Gebert.
Inga Jäger nickte. Ihr Puls hatte erwartungsgemäß an Frequenz zugenommen, und sie regulierte ihn wie gewohnt durch gezielt ruhiges Atmen. Die Hände hielt sie flach an den Seiten ihrer Hose, damit der Stoff, falls ihre Handflächen von der Nervosität feucht wurden, den Schweiß aufnehmen konnte und sie im entscheidenden Moment einen trockenen Griff hatte, um ihre Pistole zu ziehen.
Sie hoffte jedoch, dass das nicht nötig sein würde.
Ja, sie war bereit.
Gebert klingelte.
Es dauerte beinahe anderthalb Minuten, ehe sich im Innern des prachtvollen alten Hauses etwas regte.
Gebert legte seine Bärenpranke auf seine Waffe.
Dann endlich wurde die Tür einen winzigen Spalt weit geöffnet– eine Edelstahlkette war vorgelegt.
Dahinter kam das Gesicht von Dr. Gunther Schneider zum Vorschein. Als er sie erkannte, runzelte er die Stirn. » Ja, bitte?«
» Doktor Schneider, öffnen Sie bitte die Tür!« Schon in dem Moment, als sie es sagte, begriff Inga Jäger, dass sie gerade einen entscheidenden Fehler gemacht hatte. Ihre Worte und der fordernde Ton hatten verraten, dass sie nicht gekommen waren, um ihm ihr Beileid zu bekunden oder ihn nach seiner Tochter zu befragen. Aber sie hatte auch nicht mit dieser verdammten Kette gerechnet.
Fast augenblicklich warf Schneider die Tür zu, und sie hörten, wie er ins Haus hineinrannte.
» Scheiße!«, fluchte Gebert und fummelte das Funkgerät aus dem Jackett. » Otto, Null-Zwei-Neun. Ich wiederhole: Null-Zwei-Neun.« Null-Zwei-Neun ist der Polizei-Code für Verstärkung. Er wandte sich an Inga Jäger. » Geben Sie mir Deckung!«
» Was haben Sie vor?«, fragte sie– wütend… vor allem auf sich selbst.
» Geben Sie mir Deckung!«, wiederholte er
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