Ihr wahrer Name
offen zu zeigen wie Agnes. Als ich ihn fragte, was er mir über die Radbuka-Familie sagen könne, die er in London gekannt habe, stand er wieder auf und dirigierte mich von der Eßecke weg. Er sah sich mehrfach zu Calia um, während er sprach.
»Ich habe sie nicht gekannt. Lotty hat immer behauptet, daß sie lediglich Bekannte waren, und ich habe nicht weiter nachgebohrt.«
Calia kletterte von ihrem Stuhl herunter, erklärte, sie sei fertig mit dem Frühstück, habe es satt, im Haus zu sein, und werde jetzt hinausgehen.
»Wenn dein Opa und ich uns fertig unterhalten haben, laufen wir mit den Hunden hinüber in den Park«, sagte ich. »Hab' noch zehn Minuten Geduld.« In die Richtung von Agnes formte ich mit den Lippen das Wort »Fernsehen«. Diese verzog das Gesicht, ging aber mit Calia hinauf, um den beliebtesten Babysitter der Welt einzuschalten.
»Dann glaubst du also, daß die Radbukas Verwandte oder enge Freunde von Lotty waren?« fragte ich Max.
»Das habe ich doch schon am Sonntag abend gesagt. Lotty hat von vornherein klargemacht, daß die Radbukas kein Gesprächsthema sind. Wahrscheinlich hat sie mir deshalb auch die Informationen über sie schriftlich gegeben, um irgendwelche Diskussionen zu vermeiden. Ich weiß nicht, wer sie waren.«
Er brachte Calias Teller zur Spüle und setzte sich wieder an den Tisch. »Gestern bin ich die Unterlagen durchgegangen, die ich noch von meiner Reise nach Mitteleuropa nach dem Krieg habe. Ich habe damals nach so vielen Leuten gesucht, daß ich mich an keine Details erinnere. Lotty hatte mir die Adresse ihrer Großeltern in der Renngasse gegeben - dort hatte sie vor dem Anschluß gewohnt, in einem Haus in einer sehr geldigen Gegend, das 1938 von Leuten übernommen worden war, die nun nicht mit mir reden wollten. In Wien habe ich mich hauptsächlich auf die Suche nach meiner eigenen Familie konzentriert, und danach wollte ich nach Budapest und mich nach den Angehörigen von Teresz erkundigen. Damals waren wir noch nicht verheiratet, wir waren noch sehr jung.«
Er gab sich eine Weile seinen Erinnerungen hin. Dann schüttelte er traurig lächelnd den Kopf und fuhr fort: »Nun, die Unterlagen, die ich über die Radbukas habe... ich hole sie.« Während er in sein Arbeitszimmer hinaufging, nahm ich mir etwas zu essen aus seinem Kühlschrank. Ein paar Minuten später kehrte er mit einem dicken Ordner zurück. Er blätterte ihn durch, bis er zu einem Blatt billigem grauem Papier in einer Plastikhülle gelangte. Obwohl die Tinte schon braun und blaß geworden war, erkannte ich Lottys steile, kraftvolle Schrift sofort.
Lieber Max,
ich bewundere Deinen Mut, daß Du diese Reise unternimmst. Für mich ist Wien eine Welt, in die zurückzukehren ich nicht ertragen würde, nicht einmal dann, wenn das Royal Free Hospital mich dafür beurlauben würde. Danke deshalb dafür, daß Du fährst, denn ich harre genauso verzweifelt eindeutiger Nachrichten wie alle anderen. Ich habe Dir von meinen Großeltern erzählt. Wenn sie durch ein Wunder überlebt haben und in der Lage waren, zu ihrem alten Zuhause zurückzukehren, wäre das in der Renngasse 7, im zweiten Stock vorne. Außerdem würde ich Dich bitten, nach Informationen über eine weitere Familie in Wien zu suchen, ihr Name ist Radbuka. Es wäre für eine Person im Royal Free, die sich leider nicht an viele Einzelheiten erinnern kann. Der Name des Mannes war Schlomo, aber die Person kennt den seiner Frau nicht und weiß auch nicht, ob sie möglicherweise unter einer deutschen Form ihres Namens registriert waren. Sie hatten einen Sohn namens Moische, geboren um 1900, eine Tochter namens Rachel, zwei weitere Töchter, deren Namen die Person nicht sicher weiß - einer könnte Eva lauten -, sowie einige Enkel unserer Generation. Auch die Adresse ist nicht sicher: Sie war in der Leopoldsgasse, an dem Ende zur Unteren Augartenstraße hin. Man biegt von der Unteren Augartenstraße rechts in die Leopoldsgasse ein, dann wieder die zweite rechts in einen Innenhof, und dort ist es im zweiten Stock hinten. Mir ist klar, daß das keine sonderlich gute Beschreibung für einen Ort ist, der jetzt vermutlich in Schutt und Asche liegt, aber bessere Angaben kann ich nicht machen. Trotzdem würde ich Dich bitten, die Suche nach dieser Familie genauso ernst zu nehmen wie die nach Deiner eigenen. Bitte setze alle Hebel in Bewegung, um etwas über sie herauszufinden. Ich habe heute und morgen Nachtschicht, deshalb werde ich Dich vor Deiner Abreise nicht
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