Ihr wahrer Name
Gesellschaftskopie von Aaron Sommers' Akte nicht gerade geholfen, und jetzt führte er auch noch diese Farce auf. Allerdings war ihnen ein wesentlicher Fehler unterlaufen: Zwar hatten die Täter Fepples elektronisches Notizbuch mitgenommen, aber die Terminkalendereinträge in seinem Computer nicht gelöscht. Ich stieß die Toilettentür auf und marschierte in Richtung Aufzug. Das Blut in meinem Kopf pochte vor Wut. Sobald ich in meinem Wagen saß, brauste ich auf den Lake Shore Drive und hupte ungeduldig jeden Fahrer an, der es wagte, mir den Weg zu versperren. Ampeln, die rot wurden, beachtete ich einfach nicht. Mit anderen Worten, ich führte mich auf wie eine Wahnsinnige. Auf dem Drive legte ich die knapp acht Kilometer nach Grant Park in fünf Minuten zurück. Im Park hatte inzwischen die Rush-hour begonnen, die mich behinderte. Ich handelte mir den wütenden Pfiff eines Verkehrspolizisten ein, als ich eine ganze Reihe von Fahrzeugen rücksichtslos schnitt, um auf eine der Seitenstraßen zu gelangen, von wo aus ich den Wagen mit stark überhöhter Geschwindigkeit auf den Inner Drive lenkte.
Ecke Michigan Avenue und Adams Street mußte ich auf die Bremse treten: Hier standen überall hupende Autos. Was jetzt? Bei diesem Stau würde es mir nie gelingen, mit dem Wagen auch nur in die Nähe des Ajax-Gebäudes zu gelangen. Also machte ich eine gefährliche und ganz und gar illegale Kehrtwende und brauste zurück auf den Inner Drive. Mittlerweile war ich so oft nur knapp einem Unfall entgangen, daß ich allmählich zur Vernunft kam. Fast hörte ich meinen Vater, der mich davor warnte, wütend mit dem Auto zu fahren. Als er mich einmal dabei ertappte, hatte er mich mitgenommen, als er einen eingeklemmten Teenager aus einem Wrack befreien mußte. Diese Erinnerung ließ mich die nächsten paar Häuserblocks vorsichtiger fahren. Ich parkte den Wagen in einer Tiefgarage und ging nach Norden, in Richtung des Ajax-Gebäudes. Als ich zur Adams Street kam, wurde der Stau immer dich ter. Das waren definitiv nicht nur heimkehrende Pendler. Ich bahnte mir mit Mühe einen Weg durch die Menge, indem ich mich direkt an den Häuserwänden entlang bewegte. In der Ferne hörte ich die Megaphone. Also waren die Demonstranten wieder da.
»Keine Geschäfte mit Sklavenbesitzern!« riefen sie, und »Kein Geld für Massenmörder!«
»Ökonomische Gleichheit für alle« konkurrierte mit »Boykottiert die Ajax! Keine Geschäfte mit Dieben!«.
Also war auch Posner hier. Und zwar mit Vollgas, dem Lärm nach zu urteilen. Durham hatte sich offenbar entschlossen, seinen Truppen persönlich voranzumarschieren. Kein Wunder, daß die Straße völlig verstopft war. Ich ging die Stufen zum Bahnsteig der Hochbahn hoch, damit ich sehen konnte, was los war.
Es waren nicht ganz so viele Leute da wie eine Woche zuvor vor dem Hotel Pleiades, aber zu Posner mit seinen Maccabees und Durham mit seinem EYE-Team hatten sich etliche Kamerateams sowie viele Leute gesellt, die nach Hause wollten. Letztere drückten sich auf den Stufen an mir vorbei und bedachten beide Gruppen mit unfreundlichen Bemerkungen.
»Ist mir doch egal, was vor hundert Jahren passiert ist: Ich will heute nach Hause«, sagte eine Frau gerade zu ihrer Begleiterin.
»Ja. Durham hat nicht unrecht, aber es wird ihm niemand zuhören, wenn wir nicht rechtzeitig heimkommen und dem Hort zusätzlich Geld zahlen müssen.«
»Und der andere, der Typ mit dem komischen Hut und den Locken, was will der?«
»Der sagt, daß die Ajax den Juden ihre Lebensversicherungen nicht ausgezahlt hat. Aber das ist alles schon so lange her, was geht uns das an?«
Eigentlich hatte ich vorgehabt, Ralph von der Straße aus anzurufen, aber in diesem Gedränge konnte ich kein Telefonat führen. Ich ging die Stufen vom Bahnsteig hinunter auf die Wabash Avenue, vorbei an den Polizisten, die versuchten, den Verkehr am Laufen zu halten, vorbei auch am Eingang des Ajax-Gebäudes, wo Sicherheitsleute frustrierte Angestellte einen nach dem anderen herausließen, und bog schließlich um die Ecke in den Jackson Boulevard und die kleine Nebenstraße hinter dem Gebäude, wo sich die Ladeplätze befanden. Der von der Ajax war noch offen.
Ich zog mich die Metallrampe hinauf, wo Lieferwagen ihre Lasten abluden, und ging hinein. Ein übergewichtiger Mann in der blauen Uniform des Ajax-Wachpersonals rutschte von einem Hocker vor einem großen Kontrollpult mit Monitoren, auf denen die Nebenstraße und das Gebäude zu sehen
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