Ihr wahrer Name
und dann einem anderen Mieter hineinfolgen.
Als wir hinunterkamen, stand Jason wieder an seinem Platz. Dr. Herschels Wagen war hier - er verließ seinen Platz noch einmal, um ihn mir zu zeigen. Das Auto war zugesperrt, und ich wollte den beiden nicht vormachen, daß ich es trotzdem aufgebracht hätte, also sah ich nur durch die getönte Scheibe. Anders als ich läßt Lotty keine Papiere, alten Handtücher und verschwitzte T-Shirts in ihrem Wagen. Auf den Sitzen lag nichts.
Ich gab beiden eine Visitenkarte und bat Jason, die Bewohner beim Heimkommen zu fragen, ob sie Lotty beim Verlassen des Hauses gesehen hätten. »So bleibt die Sache unauffällig«, sagte ich, als er mir widersprechen wollte. »Anderenfalls müßte ich die Polizei ins Spiel bringen, und das würde ich ungern.«
Die beiden Männer wechselten einen Blick: Die Hausverwaltung würde nicht sonderlich begeistert reagieren, wenn Polizisten vorbeikamen und die Bewohner befragten. Jason und Gerry schoben ihre Zehner mit der angemessenen Würde ein und erklärten sich bereit, in Max' und meiner Abwesenheit niemanden in Dr. Herschels Wohnung zu lassen.
»Und Sie behalten den Eingangsbereich auch im Auge, wenn Sie gerade etwas anderes machen?« fragte ich.
»Es ist immer jemand im Eingangsbereich, Ma'am« sagte Jason ein wenig verärgert. »Und wenn ich ausnahmsweise mal in der Garage bin, kann ich ihn von den Monitoren aus beobachten. Wenn ich Pause habe, springt Gerry für mich ein.«
Ich wußte, daß das kein narrensicheres System war, aber es war mir auch klar, daß sie nicht mehr mit mir kooperieren würden, wenn ich weiter Kritik übte. Ich blieb eine Weile in meinem Mustang sitzen und massierte meinen Nacken. Was war mit Lotty passiert? Daß sie ein zweites Leben hatte, von dem ich nichts wußte, war mir in den vergangenen zehn Tagen klargeworden. Aber bedeutete das zwangsläufig, daß ich auf ihre Geheimniskrämerei Rücksicht nehmen mußte? Oder anders herum: Gaben mir unsere Freundschaft, meine Liebe, meine Sorge das Recht, in einen Privatbereich einzudringen, den sie unter so vielen Mühen geschützt hatte? Ich dachte über diese Frage nach. Wahrscheinlich nicht. Solange diese verdammten Hoffman-Bücher sie nur nicht in Gefahr brachten. Aber das war gut möglich. Wenn ich nur jemanden fände, der sie für mich deuten konnte. Vielleicht würden sie ja Bertrand Rossy etwas sagen.
Ich legte den Gang ein und machte mich auf den schwierigen Weg in die South Side. Mit jedem Tag wird es komplizierter, durch das Zentrum von Chicago zu fahren. Es gibt einfach zu viele Leute wie mich, die allein im Auto sitzen. Auf der North Avenue, kurz vor dem Expressway, tankte ich. Die Preise gingen immer noch nach oben. Ich weiß, daß wir in Amerika nach wie vor weniger als die Hälfte für Benzin zahlen als die Europäer, aber wenn man billigen Treibstoff gewöhnt ist, ist eine Tankfüllung für dreißig Dollar trotzdem ein Schock. Ich folgte dem Dan Ryan Expressway im Schneckentempo bis zur Eighty-seventh Street, der der Wohnung von Gertrude Sommers am nächsten gelegenen Ausfahrt.
In den zwei Wochen seit meinem letzten Besuch schien sich nichts verändert zu haben: Das Chevy-Wrack stand immer noch vor dem Haus, und im Innern schrie nach wie vor das Baby. Mrs. Sommers selbst saß auch dieses Mal kerzengerade mit sorgfältig gebügeltem Kleid und abweisendem Gesichtsausdruck da.
»Ich hab' der anderen jungen Frau gesagt, sie kann gehen«, erklärte sie, als ich sie fragte, ob Mary Louise noch da sei. »Ich rede nicht gern mit der Polizei über meine Familie. Sie behauptet zwar, daß sie nicht mehr für die Polizei arbeitet, aber sie spricht immer noch so und sieht auch so aus.« Ich mußte mich zusammenreißen, um meine Sorge um Lotty beiseite zu schieben und mich voll und ganz auf Gertrude Sommers zu konzentrieren.
Sie bot mir einen Stuhl an dem Sperrholztisch an der Wand an und nahm dann selbst Platz. Den Rücken hatte sie gestrafft, die Hände im Schoß gefaltet, und ihr Blick war so streng, daß es mir schwerfiel, ihn zu erwidern.
»Der Reverend hat mich in der Bibelstunde am Mittwoch angesprochen. Es ging um meinen Neffen. Nicht um meinen Neffen Isaiah, sondern um den anderen. Um Colby. Glauben Sie, wenn sein Vater ihn genauso nach einem Propheten benannt hätte, wie der andere Bruder von Mr. Sommers seinen Sohn, wäre er dann ein aufrichtiger Mensch geworden? Oder wäre er trotzdem den Versuchungen des Lebens erlegen?«
Ich sagte nichts, auch wenn ich
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