Ihr wahrer Name
sie zumindest nicht mehr als Mörder von Fepple in Betracht.
Durhams Sekretärin meldete sich wieder. Ihr Chef sei bis sechs Uhr in Ausschußsitzungen; er würde sich gern um halb sieben vor einer Kirchenversammlung der Gemeinde in seinem Büro in der South Side mit mir treffen. Aber so, wie die Dinge lagen, wollte ich nicht mit Durham in dessen Revier allein sein, also erklärte ich der Sekretärin, ich würde ihn bitten, um Viertel nach sechs ins Golden Glow zu kommen. Sollte Durham sich doch in mein Revier begeben.
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Bourbon und ein bißchen mehr
Ich ging die Nachrichten für mich durch, sowohl die im Eingangskorb als auch die E-Mails. Michael Loewenthal hatte die Biographie von Anna Freud vorbeigebracht. Der Tag war so lang gewesen, daß ich das Gespräch mit ihm völlig vergessen hatte - genau wie die Hundemarken für Ninshubur.
Die Biographie war zu dick, als daß ich sie ganz hätte lesen können, um den Namen Paul Radbuka oder Paul Hoffman darin zu finden. Also sah ich mir die Fotos an, eines von Anna Freud mit ihrem Vater in einem Cafe und eines von ihr in dem Kinderheim in Hampstead, wo Lotty während des Krieges Teller gespült hatte. Ich versuchte mir Lotty als Teenager vorzustellen. Sie war wahrscheinlich idealistisch und leidenschaftlich gewesen, hatte aber noch nicht jenen Panzer aus Ironie und Forschheit gehabt, der sie jetzt vor der Welt schützte.
Ich schlug das Register auf, um dort nach dem Namen »Radbuka« zu suchen, doch ich fand ihn nicht. Ich sah unter dem Stichwort »Konzentrationslager« nach. Der zweite Verweis bezog sich auf einen Artikel, den Anna Freud über eine Gruppe von sechs Kindern geschrieben hatte, die nach dem Krieg aus Theresienstadt nach England gekommen waren. Sechs Kinder zwischen drei und vier Jahren, die als kleine Einheit zusammenlebten, aufeinander aufpaßten und so eng miteinander verbunden waren, daß die zuständigen Behörden davon ausgingen, sie könnten nicht getrennt voneinander überleben. Es wurden weder Namen noch Hintergründe genannt. Das Ganze klang wie die Gruppe, die Hoffman-Radbuka in seinem Fernsehinterview in der vergangenen Woche beschrieben hatte, die Gruppe, in der Ulf Hoffman ihn aufgespürt und gewaltsam von seiner kleinen Freundin Miriam getrennt hatte. War Paul tatsächlich Teil dieser Gruppe gewesen? Oder hatte er sich ihre Geschichte einfach zu eigen gemacht?
Ich ging noch einmal ins Internet, um dort nach dem Text des Artikels zu suchen, den Anna Freud unter dem Titel »Gemeinschaftsleben im frühen Kindesalter« über die Kinder geschrieben hatte. Eine zentrale Forschungsbibliothek in London würde ihn mir für zehn Cents pro Seite zufaxen. Ein richtiges Schnäppchen. Ich gab meine Kreditkartennummer ein und forderte den Text an. Dann hörte ich die Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter ab. Die dringendste schien von Ralph zu stammen, der zweimal angerufen hatte - einmal das Handy, als ich drei Stunden zuvor auf dem Weg zum Dan Ryan Expressway gewesen war, und erst vor kurzem, als ich versucht hatte, den »weniger angenehmen« Teil der Vergangenheit zu entziffern. Natürlich war er jetzt wieder in einer Besprechung, aber seine Sekretärin Denise teilte mir mit, er wolle unbedingt die Originale der Kopien sehen, die ich ihm am Morgen gezeigt hatte. »Die habe ich nicht«, sagte ich. »Ich habe sie gestern selbst nur kurz angeschaut, als ich die Kopien für ihn gemacht habe, aber jetzt bewahrt sie jemand anders auf. Soweit ich weiß, handelt es sich um sehr wertvolle Dokumente. Will Bertrand Rossy einen Blick darauf werfen oder Ralph selbst?«
»Ich glaube, Mr. Devereux hat die Vergrößerungen, die ich gemacht habe, Mr. Rossy heute morgen bei einer Konferenz gezeigt, aber Mr. Devereux hat mir nicht gesagt, ob Mr. Rossy sich für sie interessiert.«
»Würden Sie das, was ich jetzt sage, genauso notieren, wie Sie es von mir hören? Bitte erklären Sie Ralph, daß ich sie wirklich und ehrlich nicht habe. Jemand hat sie mitgenommen. Ich habe keine Ahnung, wo die Person, die sie genommen hat, ist, und ich weiß auch nicht, wo diese Person sie aufbewahrt. Sagen Sie ihm, das ist kein Scherz, es ist auch nicht der Versuch, ihn hinzuhalten. Ich möchte diese Bücher genauso dringend sehen wie er, aber ich weiß nicht, wo sie sind.« Ich bat Denise, mir das, was sie notiert hatte, noch einmal vorzulesen. Hoffentlich überzeugten meine Worte Rossy, daß sich die Unterlagen von Hoffman wirklich nicht in meinem Besitz befanden - falls es
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