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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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ich nicht kannte, doch nach einer Weile begriff ich, daß die Niederlassungen zuerst nach Ländern und dann nach Umsatzvolumen geordnet waren.
    1935 war das größte Unternehmen der Schweiz die Nesthorn gewesen, gefolgt von der Swiss Re, der Zürich Leben, der Winterthur Leben und einigen anderen. Die Edelweiß stand ganz unten auf der Liste, aber der Eintrag hatte eine Fußnote, die noch kleiner war als der Hauptteil der Unterlagen. Selbst als ich das Buch schräg und so dicht vor meine Nase hielt, daß ich ein halbes dutzendmal niesen mußte, konnte ich die winzige Schrift nicht lesen. Ich sah hinüber zum vorderen Raum. Die überarbeitete Kraft steckte offenbar noch immer Briefe in Umschläge. Ich wollte sie keinesfalls durch die Frage stören, ob ich das Buch ausleihen könne. Statt dessen ließ ich es in meiner Aktentasche verschwinden, bedankte mich bei der Frau für ihre Hilfe und erklärte ihr, daß ich wahrscheinlich am nächsten Morgen wiederkommen würde.
    »Wann machen Sie auf?«
    »Normalerweise erst um zehn, doch Mr. Irvine, unser leitender Direktor, kommt manchmal schon früher... Ach, nun schauen Sie sich Ihre hübsche Jacke an. Tut mir leid, daß es hier drin so schmutzig ist, aber ich bin ganz allein und habe keine Zeit, die ganzen alten Bücher abzustauben.« »Schon in Ordnung« sagte ich freundlich. »Die kann man reinigen.« Das hoffte ich, denn mein hübscher Fischgrätblazer aus einem Seiden-Woll-Gemisch sah jetzt aus, als sei er von einem Anfänger grau gefärbt worden.
    Ich rannte die ganze Strecke bis zu meinem Wagen und verfluchte die anderen Fahrer, die mich auf dem Weg zum Büro aufhielten. Als ich schließlich an meinem Schreibtisch saß, kämpfte ich mich mit einer Lupe durch die französische Fußnote, so gut es ging: Die kürzlich erfolgte Übernahme der Edelweiß AG durch die Nesthorn AG, die größte Gesellschaft der Schweiz, würde im folgenden Jahr dokumentiert werden, wenn die Zahlen der Edelweiß nicht... irgendwas wären. Egal. Bis zu diesem Zeitpunkt würden die irgendwas irgendwas Unternehmensberichte unabhängig erfolgen. Eine Fusion von Nesthorn und Edelweiß, und jetzt hieß die Gesellschaft Edelweiß. Den nächsten Teil verstand ich nicht, also wandte ich mich der Auflistung der Niederlassungen zu. Die Edelweiß hatte drei, jeweils eine in Basel, Zürich und Bern. Die Nesthorn hatte siebenundzwanzig. Zwei in Wien. Eine in Prag, eine in Bratislava, drei in Berlin. Außerdem gab es eine in Paris, die gute Geschäfte gemacht hatte. Die Wiener Niederlassung in der Porzellangasse hatte die meisten Abschlüsse von allen siebenundzwanzig getätigt und 1935 ein fast dreißig Prozent höheres Umsatzvolumen erzielt als die nachfolgenden. War das Ulf Hoffmans Gebiet gewesen, wo er mit dem Fahrrad herumgefahren war und die Namen mit seiner verschnörkelten Schrift in sein Buch eingetragen hatte? Hatte er die Sorgen der Familien ausgenutzt, daß die antijüdischen Gesetze in Deutschland schon bald auch sie betreffen könnten?
    Die Zahlen in Hoffmans Büchern, die mit einem »N« begannen, bezogen sich möglicherweise auf Lebensversicherungspolicen der Nesthorn-Gesellschaft. Und nach der Fusion mit der Edelweiß - ich wandte mich meinem Computer zu und loggte mich bei Lexis-Nexis ein. Dort fand ich die Suchergebnisse zu meiner früheren Anfrage über die Edelweiß, aber dabei handelte es sich ausschließlich um zeitgenössische Dokumente. Ich überflog sie trotzdem. Sie informierten mich über den Erwerb der Ajax sowie die Entscheidung der Edelweiß, an einem Forum über europäische Versicherungsgesellschaften und nicht beanspruchte Lebensversicherungen aus der Zeit des Holocaust teilzunehmen. Dann folgten Berichte über die Einkünfte des dritten Vierteljahres und den Erwerb einer Londoner Handelsbank. Den größten Anteil besaß immer noch die Familie Hirst, und zwar mit elf Prozent des Aktienkapitals. Also stand das »H« auf Fillida Rossys Geschirr für den Namen ihres Großvaters. Der Großvater, mit dem sie früher immer die schwierigen Pisten in der Schweiz heruntergefahren war. Sie war eine risikofreudige Frau trotz ihrer sanften Stimme und ihrem Getue um die Rosmarin-Spülung für die güldene Mähne ihrer Tochter.
    Ich lud diese Informationen herunter und begann eine neue Suche, diesmal nach alten Einträgen über die Nesthorn und die Edelweiß. Die Einträge der Datenbank reichten nicht bis zur Zeit der Fusion zurück. Ich reagierte nicht auf das Klingeln des Telefons und

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