Ihr wahrer Name
Ereignisse der Nacht. Wenn ich genauere Fragen über die Größe, den Körperbau, den Akzent und die Kraft des Eindringlings stellte, lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück und legte die Hand auf die Stirn.
»Vic, ich weiß, daß Sie es gut meinen, aber das habe ich alles schon diskutiert, nicht nur mit Donald und den Leuten von der Polizei, sondern auch mit mir selbst. Ich habe mich in eine leichte Trance versetzt und den ganzen Vorfall auf Band gesprochen. Das können Sie sich gern anhören. Wenn mir ein Detail besonders aufgefallen wäre, hätte ich mich zu diesem Zeitpunkt erinnert.« Also hörte ich mir das Band an, doch sie weigerte sich, sich noch einmal in Trance zu versetzen, damit ich selbst ihr Fragen stellen konnte. Vielleicht, beharrte ich, war ihr die Farbe der Augen hinter der Skimaske aufgefallen oder die Farbe der Maske oder der weiten Jacke, die die Person trug - das, was sie in Trance erzählt hatte, beschäftigte sich mit keinem dieser Punkte. Darauf reagierte sie aggressiv: Wenn sie der Überzeugung gewesen wäre, daß solche Fragen zu nützlichen Antworten führen könnten, hätte sie sie selbst gestellt. »Don, würdest du Vic bitte hinausbegleiten? Ich bin erschöpft.«
Ich hatte nicht die Zeit, mich mit ihrem Ärger oder ihren Argumenten herumzuschlagen, und so machte ich meinem eigenen Ärger lediglich dadurch Luft, daß ich einen Penny gegen den Fuß des Buddhas über dem Wasserfall mit den Lotusblüten schnippte.
Als nächstes fuhr ich zur South Side, zur Mutter von Colby Sommers, um mehr über den letzten Abend von Isaiahs Cousin auf dieser Erde zu erfahren. Mehrere Verwandte trösteten sie, darunter auch Gertrude Sommers, die sich anschließend leise mit mir in einer Ecke unterhielt. Colby war ein schwacher Junge und ein schwacher Mann gewesen; er hatte sich gern wichtig gemacht, indem er sich mit gefährlichen Leuten abgab, und jetzt hatte er leider den Preis dafür zahlen müssen. Aber Isaiah war ganz anders: Isaiah durfte keinesfalls Colbys Schicksal teilen.
Ich nickte düster und wandte mich Colbys Mutter zu. Sie hatte ihren Sohn ein oder zwei Wochen lang nicht gesehen und wußte deshalb auch nicht, was er getrieben hatte. Aber immerhin gab sie mir die Namen von Colbys Freunden.
Als ich sie in einem örtlichen Billardsalon aufspürte, legten sie die Queues weg und musterten mich mit vor Feindseligkeit funkelnden Augen. Auch nachdem ich den Dunst aus Marihuana und Verbitterung durchdrungen hatte, der sie umgab, sagten sie mir nicht viel. Ja, Colby war tatsächlich mit ein paar Brüdern zusammengewesen, die manchmal Dinge für Durhams EYE-Team erledigten. Ja, er hatte tatsächlich in den letzten Tagen mit Geld herumgewedelt, aber Colby war nun mal so. Wenn er Geld hatte, bekam jeder etwas ab. Und wenn er pleite war, erwartete er, daß alle für ihn zusammenlegten. Am letzten Abend hatte er gesagt, er würde etwas mit den Leuten vom EYE-Team machen, aber Namen? Nein, sie wußten keine Namen. Weder Geld noch Drohungen konnten sie umstimmen. Frustriert verließ ich den Salon. Terry wollte Alderman Durham nicht verdächtigen, und die Leute von der South Side waren zu eingeschüchtert vom EYE-Team, als daß sie es verpfiffen hätten. Ich konnte natürlich selbst zu Durham gehen, aber das war vergeudete Zeit und Energie, wenn ich keinerlei Druckmittel hatte. Außerdem war es mir aufgrund meiner Sorge um Lotty und Hoffmans Bücher im Moment wichtiger, eine Möglichkeit zu finden, wie ich an die Rossys herankam. Ich überlegte, ob ich irgendwie ihre Alibis für die letzte Nacht überprüfen könnte, ohne zu sehr aufzufallen, als mein Handy klingelte. Ich war gerade in nördlicher Richtung auf dem Dan Ryan Expressway unterwegs, und zwar auf dem Abschnitt, wo sechzehn Spuren sich immer wieder überkreuzten wie das Band beim Tanz um den Maibaum. Dies war nicht der Ort, um mich ablenken zu lassen. Ich nahm die nächste Ausfahrt, um ranzugehen. Eigentlich hatte ich gehofft, Ralphs Stimme zu hören, aber es war mein Anrufbeantwortungsdienst. Mrs. Coltrain hatte mich von Lottys Klinik aus angerufen. Es sei dringend, ich solle sofort zurückrufen.
»Sie ist in der Klinik?« Ich warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett - am Samstag arbeitete Lotty immer von halb zehn bis eins; inzwischen war es nach zwei.
Die Leute, die am Wochenende im Büro meines Anrufbeantwortungsdienstes sitzen, kenne ich nicht; der Mann, mit dem ich es heute zu tun hatte, las mir die Nummer vor, die Mrs. Coltrain
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