Ihr wahrer Name
Statt dessen wandte ich mich wieder den Papieren auf dem Tisch vor uns zu und erkundigte mich nach Al Hoffman.
»Wie war er? Könnten Sie sich vorstellen, daß er sich das Geld aus Ihrer Versicherung selbst unter den Nagel gerissen hat?«
»Ach, was weiß ich schon über ihn? Ich kenne wie gesagt nur das in Leder gebundene Buch, in dem er immer unsere Namen abgehakt hat. Er hätte auch Adolf Hitler sein können.«
»Hat er vielen Leuten hier im Haus Versicherungen verkauft?« fragte ich. »Wieso wollen Sie das wissen?«
»Ich würde gern herausfinden, ob andere Kunden die gleichen Erfahrungen mit ihm gemacht haben wie Sie.«
Nun schaute sie mich endlich an, statt durch mich hindurchzusehen. »In diesem Haus nicht. Aber bei Aaron -Mr. Sommers - in der Arbeit schon. Mein Mann war bei South Branch Scrap Metal beschäftigt. Mr. Hoffman wußte, daß die Menschen ordentlich begraben werden wollen, also ist er an solchen Orten in der South Side aufgetaucht, jeden Freitagnachmittag vor zehn oder zwanzig verschiedenen Betrieben. Manchmal hat er sich das Geld gleich dort geholt, manchmal ist er auch hierhergekommen, das hing von seinem Tagesplan ab. Aaron, Mr. Sommers, hat fünfzehn Jahre lang seine fünf Dollar pro Woche gezahlt, so lange bis er die Endsumme erreicht hatte.« »Kennen Sie die Namen anderer Leute, die einen Vertrag mit Hoffman abgeschlossen haben?«
Sie sah mich wieder an und kam offenbar zu dem Schluß, daß sie mir vertrauen konnte. »Ich kann Ihnen die vier Namen der Männer geben, mit denen mein Mann zusammengearbeitet hat. Sie haben alle einen Vertrag mit Hoffman abgeschlossen, weil er's ihnen leichtgemacht hat dadurch, daß er jeden Freitag vorbeigekommen ist. Bedeutet das, daß Sie mir in dieser Sache glauben?« Sie deutete auf die Dokumente, die ich mitgebracht hatte, noch immer, ohne sie anzusehen. Ich verzog das Gesicht. »Ich muß alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen, Ms. Sommers.« Sie bedachte mich mit einem bitteren Blick. »Ich weiß, daß mein Neffe es nur gut gemeint hat mit seinem Auftrag an Sie, aber wenn er gewußt hätte, wie wenig Hochachtung Sie haben würden... « »Das hat nichts mit Hochachtung zu tun, Ms. Sommers. Sie haben Ihrem Neffen gesagt, daß Sie mit mir reden würden. Sie wissen, welche Art von Fragen so etwas mit sich bringt: Da ist eine Sterbeurkunde mit dem Namen Ihres Mannes und Ihrem eigenen, datiert vor fast zehn Jahren, dazu ein Scheck von der Midway Insurance Agency, ausgestellt auf Sie. Irgend jemand hat ihn eingelöst. Wenn ich herausfinden möchte, wer, muß ich irgendwo anfangen. Es würde mir helfen, Ihnen zu glauben, wenn ich mit anderen Leuten reden könnte, denen es genauso ergangen ist wie Ihnen.«
Sie verzog verärgert das Gesicht, aber nach ungefähr einer halben Minute, in der nur das Ticken der Uhr zu hören war, zog sie einen linierten Notizblock unter dem Telefon hervor. Dann befeuchtete sie ihren Zeigefinger und blätterte in einem abgegriffenen Adreßbuch. Schließlich schrieb sie ein paar Namen auf. Immer noch wortlos reichte sie mir die Liste. Das Gespräch war zu Ende. Ich tastete mich den dunklen Flur entlang und die Stufen hinunter. Das Baby schrie immer noch, und draußen standen die Männer nach wie vor über den Chevy gebeugt. Als ich den Mustang aufschloß, riefen sie fröhlich herüber, ob wir nicht tauschen wollten. Ich winkte grinsend zurück. Tja, die Freundlichkeit von Fremden. Erst wenn die Leute sich länger mit mir unterhielten, wurden sie feindselig. Darüber, welche Lehre sich daraus ziehen ließ, dachte ich lieber nicht intensiver nach.
Inzwischen war es fast drei: Seit dem Joghurt am Morgen hatte ich nichts mehr gegessen. Vielleicht würde ich nicht mehr alles so deprimierend finden, wenn ich etwas zu futtern bekam. Auf dem Weg zum Expressway kaufte ich mir in einer Einkaufspassage eine Ecke Käse-Pizza. Der Teig war klebrig, und die Oberfläche glänzte ölig, aber trotzdem verdrückte ich alles mit großem Appetit. Als ich vor meinem Büro aus dem Wagen stieg, merkte ich, daß Öl auf meinen rosafarbenen Seidenpullover getropft war. Tja, nun stand's also Warshawski null, Gäste fünf. Wenigstens hatte ich am Nachmittag keine geschäftlichen Termine.
Meine Teilzeitassistentin Mary Louise Neely saß an ihrem Schreibtisch. Sie reichte mir das Päckchen mit dem Video von den Radbuka-Interviews, das Beth Blacksin mir per Boten geschickt hatte. Ich steckte es in meine Aktentasche und gab Mary Louise die neuesten
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