Ihr wahrer Name
Überraschung. Nun, so sind die Menschen eben.«
»Tja, die Lektion haben wohl auch Gertrude Sommers und ihr Neffe bei der Beisetzung von Aaron Sommers gelernt«, sagte ich und erhob mich, um zu gehen.
Er neigte traurig den Kopf, als sei er sich der beißenden Ironie meiner Worte nicht bewußt. Er war nicht umsonst einer der reichsten Männer der South Shore geworden. Sich für seine rigorosen Methoden zu entschuldigen, gehörte nicht zu seinem Geschäftsgebaren.
8
Hoffmans Erzählungen
Bis jetzt schien der Spielstand Warshawski null, Gäste drei zu sein. Ich hatte weder bei der Ajax noch bei der Midway Agency noch beim Leiter des Bestattungsinstituts etwas herausgebracht. Wenn ich ohnehin schon im Süden der Stadt war, konnte ich gut noch einen weiteren frustrierenden Besuch bei der Witwe anhängen.
Sie wohnte ein paar Häuserblocks vom Dan Ryan Expressway entfernt, in einem heruntergekommenen Haus mit zwölf Wohnungen, ein ausgebranntes Gebäude auf der einen und ein leeres Grundstück mit Schutt und verrosteten Autos auf der anderen Seite. Ein paar Typen werkelten gerade am Motor eines ziemlich alten Chevy herum, als ich ankam. Der einzige Mensch, der sich sonst noch auf der Straße aufhielt, war eine Frau mit kampflustigem Gesichtsausdruck, die irgend etwas vor sich hin murmelte, während sie aus einer Flasche in einer braunen Papiertüte trank.
Die Klingel der Sommers' schien nicht zu funktionieren, aber die Haustür hing lose in den Angeln, so daß ich das Gebäude betreten konnte. Im Treppenhaus roch es nach Urin und abgestandenem Fett. Hinter mehreren Türen schlugen Hunde an, als ich vorbeiging, deren Bellen nur kurz das dünne hoffnungslose Jammern eines Babys übertönte. Als ich endlich vor der Tür zu Gertrude Sommers' Wohnung stand, war ich so deprimiert, daß ich beinahe wieder den Rückzug angetreten hätte.
Ein paar Minuten vergingen nach meinem Klopfen. Irgendwann hörte ich langsame Schritte und eine tiefe Stimme, die fragte, wer da sei. Ich sagte ihr meinen Namen und daß ich eine Detektivin sei, die ihr Neffe angeheuert habe. Sie schob die drei Riegel an der Tür zurück und musterte mich eine ganze Weile mit düsterem Gesicht, bevor sie mich hineinließ.
Gertrude Sommers war großgewachsen, trotz ihres Alters immer noch gut fünf Zentimeter größer als ich mit meinen einssiebzig, und selbst in ihrer Trauer hielt sie sich vollkommen aufrecht. Sie trug ein dunkles Kleid, das beim Gehen knisterte. Ein schwarzes Spitzentaschentuch, das im linken Ärmelaufschlag steckte, unterstrich ihre Trauer. Im Vergleich zu ihr fühlte ich mich schmuddelig mit meinen durchgeschwitzten Sachen.
Ich folgte ihr in den Hauptraum der Wohnung und nahm erst Platz, als sie majestätisch aufs Sofa deutete. Das leuchtend geblümte Polster war mit einem schweren Plastikschutz überzogen, der laut raschelte, als ich mich draufsetzte.
Schmutz und Elend des Gebäudes endeten an ihrer Schwelle. Jede Oberfläche, die nicht mit einem Plastikschutz bedeckt war, glänzte vor Politur, vom Eßtisch am anderen Ende des Zimmers bis zu der altmodischen Uhr über dem Fernseher. An den Wänden hingen überall Fotos, viele davon von demselben lächelnden Kind, sowie eine offizielle Aufnahme von meinem Klienten und seiner Frau an ihrem Hochzeitstag. Zu meiner Überraschung entdeckte ich auch Alderman Durham an der Wand -einmal ganz allein auf einem Foto, ein andermal mit den Armen um zwei Teenager in blauen Empower-Youth-Energy-Sweat-shirts. Einer der Jungen stützte sich auf Metallkrücken, beide strahlten stolz in die Kamera.
»Mein herzliches Beileid, Ms. Sommers. Und auch das schreckliche Durcheinander mit der Versicherung Ihres Mannes tut mir leid.«
Sie preßte die Lippen zusammen. Entgegenkommen würde sie mir nicht. Ich mühte mich ab, so gut ich konnte, und legte die Fotokopien der gefälschten Sterbeurkunde sowie des Schecks vor sie hin. »Ich bin ein bißchen verwirrt über die Situation und frage mich, ob Sie eine Ahnung haben, wie das passieren konnte.«
Sie weigerte sich, die Dokumente anzusehen. »Wieviel haben sie Ihnen dafür gezahlt, daß Sie herkommen und Anschuldigungen gegen mich erheben?«
»Niemand hat mir Geld dafür gegeben, und für so etwas würde ich auch kein Geld nehmen, Ms. Sommers.«
»Das ist leicht dahingesagt, junge Frau.«
»Nun, da haben Sie recht.« Ich schwieg eine Weile, um mich in ihre Sichtweise einzudenken. »Meine Mutter ist gestorben, als ich fünfzehn war. Wenn irgendein Fremder
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