Ihr wahrer Name
würde sich anhören, was ich ihr mitzuteilen hätte, aber sie könne mir nicht versprechen, daß sie irgendwelche Fragen beantworten würde. Sie wohnte in einem schäbigen, für Studenten erschwinglichen Gebäude an der Cornell Avenue, in dem die Wohnungen, das wußte ich von den Klagen eines alten Freundes, dessen Sohn gerade mit dem Medizinstudium begann, aber vermutlich dennoch sechs- oder siebenhundert Dollar im Monat kosteten, die Scherben auf dem Gehsteig, die schief in den Angeln hängende Haustür und das Loch in der Wand des Treppenhauses inklusive.
Amy Blount erwartete mich in der offenen Tür ihres Apartments und sah mir zu, wie ich die letzte Treppe heraufkam. Zu Hause trug sie ihre Dreadlocks offen. Und statt des strengen Tweedkostüms bei der Ajax hatte sie nun eine Jeans und ein weites Hemd an. Sie bat mich höflich, aber nicht freundlich herein und bot mir einen Holzstuhl an, während sie selbst auf ihrem Schreibtischstuhl Platz nahm.
Abgesehen von einem Futon mit einem buntgemusterten Überwurf und einem Druck von einer hinter einem Korb kauernden Frau war der Raum klösterlich streng eingerichtet. Weiße Sperrholzregale standen an allen Wänden, sogar in der winzigen Eßnische waren sie um eine Uhr herum angebracht.
»Ralph Devereux hat mir erzählt, Sie haben einen Abschluß in Wirtschaftsgeschichte. Sind Sie deshalb an den Auftrag gekommen, die Firmengeschichte für die Ajax zu schreiben?«
Sie nickte schweigend.
»Wovon handelt Ihre Dissertation?«
»Ist das für Ihren Klienten relevant, Ms. Warshawski?«
Ich hob die Augenbrauen. »Ich versuche nur, höfliche Konversation zu machen, Ms. Blount. Aber es stimmt, Sie hatten ja gesagt, daß Sie keine Fragen beantworten würden. Sie haben außerdem gesagt, daß Sie bereits von Bertrand Rossy gehört haben, also wissen Sie, daß Alderman Durham die Ajax... «
»Von seiner Sekretärin«, korrigierte sie mich. »Mr. Rossy ist ein viel zu hohes Tier, um mich selbst anzurufen.«
Ihre Stimme klang so tonlos, daß ich nicht sicher sein konnte, ob sie das ironisch meinte. »Aber er hat ihr den Auftrag gegeben, Sie zu fragen. Sie wissen also, daß Durham eine Protestaktion vor dem Ajax-Gebäude durchführt und behauptet, daß Ajax und Birnbaum der afroamerikanischen Gemeinde eine Entschädigung für das Geld schulden, das sie beide an der Sklaverei verdient haben. Vermutlich hat Rossy Ihnen vorgeworfen, Sie hätten Durham die relevante Information aus dem Ajax-Archiv zugespielt.« Sie nickte argwöhnisch.
»Der andere Aspekt von Durhams Demonstration betrifft mich persönlich. Kennen Sie die Midway Insurance Agency drüben in dem Bankgebäude? Sie wird gegenwärtig mehr schlecht als recht von Howard Fepple geführt, aber vor dreißig Jahren hat einer der Vertreter seines Vaters einem Mann namens Sommers eine Versicherung verkauft.« Ich schilderte ihr das Problem der Familie Sommers. »Und jetzt hat Durham Wind von der Geschichte bekommen. Ich frage mich, ob Sie aufgrund Ihrer Arbeit bei der Ajax eine Ahnung haben, wer Durham so detaillierte Insider-Informationen sowohl über die Firmengeschichte als auch über diesen speziellen Anspruch gegeben haben könnte. Sommers hat sich bei Durham beklagt, aber in der Protestaktion war von einem Aspekt die Rede, von dem Sommers meiner Ansicht nach nichts wissen konnte: von der Tatsache, daß die Ajax die Birnbaum Corporation in den Jahren vor dem Bürgerkrieg versichert hat. Ich nehme an, daß diese Information stimmt, denn sonst hätte Rossy nicht bei Ihnen angerufen. Seine Sekretärin nicht bei Ihnen anrufen lassen.«
Als ich schwieg, sagte Amy Blount: »Ja, in gewisser Hinsicht stimmt sie. Der Birnbaum, der seinerzeit den Grundstein für dieses Vermögen der Familie gelegt hat, wurde in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts von der Ajax versichert.« »Was meinen Sie mit >in gewisser Hinsicht«
»1858 hat Mordecai Birnbaum eine Ladung Stahlpflüge, die er nach Mississippi schicken wollte, verloren, als das Dampfschiff auf dem Illinois River in die Luft ging. Die Ajax hat den vereinbarten Betrag gezahlt. Wahrscheinlich bezieht Alderman Durham sich auf diesen Vorfall.« Sie sprach schnell und monoton. Hoffentlich, so dachte ich, würde sie ihre Vorlesungen vor Studenten später einmal ein bißchen lebhafter halten. »Stahlpflüge?« wiederholte ich. »Gab's die denn schon vor dem Bürgerkrieg?« Sie lächelte streng. »John Deere hat den Stahlpflug 1830 erfunden. 1847 hat er seine erste
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