Ihr wahrer Name
eines Mordes sei nicht völlig ausgeschlossen, doch solange der Obduktionsbericht nicht vollständig vorliege, behandle man Fepples Tod als Selbstmord. Sie hörten Mark Santoros von Global News, Chicago. »Was für eine Geschichte, Schätzchen«, sagte Mr. Contreras und hob den Blick von seiner Sun-Times, in der er gerade die Rennergebnisse mit einem Kringel versah. »Der Kerl hat sich erschossen, weil's ihm dreckig gegangen ist? Die jungen Leute heutzutage haben einfach kein Durchhaltevermögen mehr.«
Ich murmelte zustimmend. Irgendwann würde ich ihm erzählen, daß ich Fepple gefunden hatte, aber das wäre ein längeres Gespräch, und zu dem fühlte ich mich im Moment nicht in der Lage. Also fuhr ich mit den Hunden hinüber zum Lake, wo wir zum Montrose Harbor und wieder zurück rannten. Des Schlafmangels wegen tat mir das Atmen weh, aber immerhin lockerte der Fünf-Kilometer-Lauf meine verspannten Muskeln. Hinterher nahm ich die Hunde mit ins Büro, wo sie bellend und aufgeregt schnüffelnd herumliefen, als wären sie noch nie dort gewesen. Tessa brüllte mir aus ihrem Atelier zu, wenn ich die beiden nicht sofort beruhigte, würde sie mit einem Holzhammer auf sie losgehen.
Nachdem ich die Hunde in mein Büro getrieben hatte, saß ich eine ganze Weile an meinem Schreibtisch, ohne mich zu bewegen, und dachte an meine Kindheit zurück. Meine Oma Warshawski hatte ein Holzspielzeug gehabt, das sie immer für mich hervorholte, wenn ich zu Besuch kam. Es war ein Jäger mit einem Bären auf der einen und einem Wolf auf der anderen Seite. Wenn man auf einen Knopf drückte, drehte der Jäger sich herum, so daß der Lauf des Gewehrs auf den Wolf zielte, während der Bär sich drohend aufrichtete. Wenn man noch einmal drückte, wandte er sich dem Bären zu und wurde von dem Wolf bedroht. Sommers. Lotty. Lotty. Sommers. Ich kam mir vor wie der Jäger in der Mitte, weil es auch mir nicht gelang, mich lange genug auf das eine Problem zu konzentrieren, bevor schon wieder das andere auftauchte.
J
Schließlich schaltete ich müde meinen Computer ein. Sofie Radbuka. Paul hatte den Namen in einem Chatroom im Internet gefunden. Während ich suchte, rief Rhea Wiell an. »Ms. Warshawski, was haben Sie gestern abend mit Paul angestellt? Er hat heute morgen weinend vor meiner Praxis gewartet und gesagt, Sie hätten sich über ihn lustig gemacht und ihn nicht zu seiner Familie gelassen.«
»Nun, vielleicht könnten Sie ihn ja hypnotisieren und ihn dazu bringen, daß er sich an die Wahrheit erinnert«, sagte ich.
»Wenn Sie das lustig finden, haben Sie einen ziemlich perversen Sinn für Humor.« Ihre Stimme klang eisig.
»Ms. Wiell, hatten wir uns nicht darauf geeinigt, daß Mr. Loewenthal das gleiche Recht auf seine Privatsphäre hat, wie Sie es für Paul Radbuka fordern? Aber Paul hat Max Loewenthal einfach ohne Voranmeldung in seinem Haus überfallen. Hat er sich das ganz allein und ohne Hilfe ausgedacht?«
Ein Rest Menschlichkeit schien noch in ihr zu stecken, denn die Sache war ihr peinlich. Mit ruhigerer Stimme sagte sie: »Ich habe ihm Max Loewenthals Namen nicht gegeben. Leider hat Paul ihn in meinem Terminkalender gesehen. Als ich sagte, Sie würden vielleicht einen seiner Verwandten kennen, hat er zwei und zwei zusammengezählt: Er hat eine sehr schnelle Auffassungsgabe. Aber das heißt nicht, daß man ihn verspotten muß«, fügte sie hinzu, jetzt wieder auf dem hohen Roß.
»Paul ist einfach in eine private Veranstaltung geplatzt und hat alle mit drei verschiedenen Versionen seiner Lebensgeschichte in ebenso vielen Minuten aus der Fassung gebracht.« Ich wußte, daß ich nicht jähzornig werden durfte, aber trotzdem herrschte ich sie an: »Er ist gefährlich labil; ich wollte Sie schon länger fragen, wieso Sie ihn als Hypnosetherapiekandidaten für geeignet halten.«
»Bei unserem Gespräch am Freitag haben Sie mir gar nicht gesagt, daß Sie Hypnose-Expertin sind«, meinte Rhea Wiell mit jener zuckersüßen Stimme, die mich noch mehr aufregte als ihr eisiger Zorn. »Ich wußte nicht, daß Sie beurteilen können, ob jemand sich für die Hypnose eignet. Halten Sie ihn für gefährlich labil, weil er den Seelenfrieden von Leuten stört, denen es peinlich ist, ihre Verwandtschaft mit ihm zuzugeben? Heute morgen hat Paul mir gesagt, daß Sie alle wissen, wer Sofie Radbuka ist, sich aber weigern, es ihm mitzuteilen, und daß Sie sie dazu gebracht haben, so zu reagieren. Meinem Empfinden nach ist das herzlos.«
Ich holte
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