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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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meiner eigenen geröteten Augen im Badspiegel hatte mich erschreckt zusammenzucken lassen.
    Die Expresszüge für den morgendlichen Berufsverkehr waren bereits in Betrieb; nach zwanzig Minuten hielt der Zug in Belmont, nur wenige Häuserblocks von meiner Wohnung entfernt. Mein Wagen stand vor dem Haus, aber ich mußte noch duschen und mich umziehen, damit ich nicht mehr aussah wie ein Geist aus meinen Alpträumen. Ich betrat das Gebäude ganz leise in der Hoffnung, daß die Hunde meine Schritte nicht erkennen würden, und schlüpfte in einen Hosenanzug und Schuhe mit Kreppsohlen. Peppy bellte einmal kurz, als ich auf Zehenspitzen wieder hinausschlich, doch ich blieb nicht stehen. Auf dem Weg zum Lake Shore Drive machte ich in einem Cafe halt, um einen großen Orangensaft und einen noch größeren Cappuccino zu trinken. Inzwischen war es fast sieben und der morgendliche Berufsverkehr in vollem Gange. Trotzdem schaffte ich es vor halb acht nach Hyde Park.
    Ich nickte dem Wachmann - nicht derselbe, den Fepple am Freitag vor mir gewarnt hatte - am Eingang zum Gebäude der Hyde Park Bank kurz zu. Er musterte mich flüchtig über den Rand seiner Zeitung hinweg, hielt mich jedoch nicht auf: Ich trug Bürokleidung und wußte, wohin ich wollte. In den fünften Stock, wo ich Latexhandschuhe anzog, bevor ich mich Fepples Schloß zuwandte. Ich lauschte so angespannt auf den Lift, daß ich einen Augenblick brauchte, bis ich merkte, daß die Tür nicht verschlossen war.
    Also schlüpfte ich in das Büro und knurrte verärgert, als ich wieder über die aufgeworfene Ecke des Linoleums stolperte. Fepple saß hinter seinem Schreibtisch. In dem fahlen Licht, das durchs Fenster hereindrang, sah es so aus, als sei er auf seinem Stuhl eingeschlafen. Zögernd blieb ich stehen, beschloß dann, einfach unverfroren zu sein, ihn aufzuwecken und dazu zu zwingen, daß er mir die Sommers-Akte aushändigte. Ich schaltete das Deckenlicht ein. Und sah, daß Fepple nie wieder mit irgend jemandem sprechen würde. Sein Mund sowie die eine Seite seines Kopfes mit dem Teppich aus Sommersprossen fehlten. Sie waren zu einem Matsch aus Knochen, Gehirnmasse und Blut geworden.
    Ich mußte mich auf den Boden setzen und den Kopf zwischen die Knie stecken. Obwohl ich in den Stoff meiner Hose atmete, glaubte ich, Blut zu riechen. Mir wurde übel. Ich versuchte, mich auf andere Dinge zu konzentrieren, denn es hätte mir gerade noch gefehlt, wenn die Polizei später mein Erbrochenes am Tatort finden würde.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß; jedenfalls machten mir Stimmen auf dem Flur irgendwann bewußt, in welch prekärer Situation ich mich befand: in einem Büro mit einem Toten, eine Dietrichsammlung in der Tasche und Latexhandschuhe an den Fingern. Ich stand auf, so schnell, daß mir schwindelig wurde, aber ich schüttelte den Anflug von Schwäche ab und schloß mich in dem Büro ein.
    Dann ging ich um den Schreibtisch herum und versuchte, Fepple mit klinisch-nüchternem Blick zu betrachten. Eine Waffe lag unter seinem herabhängenden rechten Arm. Ich sah sie mir an: eine SIG Trailside, Kaliber zweiundzwanzig. Dann hatte er sich also selbst erschossen? Weil seine Beschäftigung mit der Sommers-Akte ihn um den Verstand gebracht hatte? Sein Computer war eingeschaltet, im Stand-by-Modus. Ich unterdrückte meine Übelkeit, streckte vorsichtig einen Arm links an ihm vorbei und aktivierte den Bildschirm mit einem Dietrich, damit ich mit meinen Fingerabdrücken kein Beweismaterial durcheinanderbrachte. Nun erschien ein Text auf dem Monitor: Beim Tod meines Vaters war dies eine gutgehende Agentur, aber ich tauge nicht zum Versicherungsvertreter. Ich habe fünf Jahre lang mit ansehen müssen, wie mein Umsatz und mein Gewinn sich stetig verringerten. Ich dachte, ich könnte mich irgendwie um meine Schulden herumdrücken, aber jetzt, wo diese Detektivin mich beobachtet, habe ich Angst, daß ich nicht einmal das schaffe. Ich habe nie geheiratet, nie gewußt, wie man Frauen für sich interessiert; ich kann mir selbst nicht mehr in die Augen sehen. Ich weiß nicht, wie ich meine Rechnungen bezahlen soll. Falls sich überhaupt jemand etwas aus mir macht, dann noch am ehesten meine Mutter. Es tut mir leid. Howard Ich druckte den Text aus und stopfte das Blatt Papier in meine Tasche. Meine Hände in den Latexhandschuhen waren feucht. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Ich war mir Fepples völlig zerstörten Kopfes neben mir bewußt, konnte ihn aber nicht ansehen.

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