Ihr Wille Geschehe: Mitchell& Markbys Zehnter Fall
Olivia. Sie hatte nie gelernt, die Meinung anderer zu fürchten, verstehen Sie? Und sie begriff einfach nicht, warum Violet Angst davor hatte. Olivia war wunderschön, geistreich und besaß eine Menge Geld. Sie hatte sich nie um Konventionen geschert, doch selbst dafür gibt es Wege, die akzeptabler sind als andere. Ich meine, wären Olivia und Violet Künstler gewesen, Bohémiens, oder hätten sie einer radikalen politischen oder sozialen Theorie angehangen, wäre ihr Verhalten als exzentrisch angesehen worden. Doch Olivia war einfach nur eine reiche Frau, die keinen Grund sah, warum sie nicht genau das tun sollte, was sie wollte. Ihr kam nicht einmal der Gedanke, dass sie eines Tages einen Schritt zu weit gehen könnte und irgendjemand sich genügend daran störte, um etwas gegen sie zu unternehmen. Sie konnte sich nicht einmal vorstellen, dass so etwas möglich ist. Dass man für alles einen Preis zahlen muss. Geschweige denn, dass jemand aufstehen und diesen Preis von ihr verlangen könnte. Sie konnte sich, kurz gesagt, nicht vorstellen, dass irgendjemand etwas gegen die Art und Weise haben könnte, wie sie ihr Leben lebte. Sie irrte sich gründlich. Irgendjemand hatte etwas dagegen, und er stand auf und forderte den Preis. Sie hatte die Rechnung ohne Lawrence Smeaton gemacht, ihren Schwager. Er war außer sich vor Zorn über ihre Beziehung mit Violet. Er betrachtete es als eine Beleidigung des Andenkens an seinen Bruder Marcus. Er verfolgte die beiden Frauen. Olivia hätte ihm sicherlich Widerstand entgegengesetzt, doch die arme Violet hatte schwer unter Lawrences Nachstellungen zu leiden und hätte fast einen Nervenzusammenbruch erlitten. Olivia räumte schließlich ein, dass sie keine andere Wahl hatte, als das Land zu verlassen. Ich für meinen Teil bin fest überzeugt, dass sie ihr Exil stets als vorübergehend betrachtet hat. Keine Niederlage – so etwas hätte sie nie eingestanden –, sondern ein strategischer Rückzug.«
»Diese Nachstellungen von Seiten Lawrences erscheinen mir recht bösartig«, sinnierte Meredith. Alan rührte sich in seinem Sessel.
»Wir wissen doch gar nicht, warum Lawrence so reagiert hat, oder? Er hat vielleicht gedacht, dass es Rückschlüsse auf die Veranlagung seines Bruders zuließ. Wir wissen schließlich nicht, welche Art von Ehe Marcus und Olivia Smeaton geführt haben.«
»Sie meinen, es wäre eine Zweckehe gewesen?«, fragte Wynne. Sie nickte.
»Nun, das wissen wir tatsächlich nicht, genau wie Sie sagen. Fest steht jedenfalls, dass Lawrence sich sehr skrupellos verhalten hat, und andere folgten seinem Beispiel. Olivias Name wurde von den Gästelisten der Gesellschaft gestrichen. Eine Reihe ziemlich hässlicher Geschichten und gemeiner Witze machte die Runde. Gewisse Leute überschritten jede Grenze guten Geschmacks und kicherten und tuschelten in Olivias und Violets Anwesenheit über die beiden.«
»Erzählen Sie uns doch ein wenig mehr von diesem Pferd oder Pony, das gestorben ist«, wechselte Markby unvermittelt das Thema. Meredith hob überrascht die Augenbrauen und verkniff sich ein Grinsen.
»Das Pony? Es wurde vergiftet.« Wynne zeigte ein feines Gespür für Theatralik, denn mit dieser Bemerkung erhob sie sich aus ihrem Sessel.
»Ich habe ein Bild des Ponys, wie es der Zufall will. Es ist mir gerade eingefallen.«
»Du brennst vor Neugier!«, sagte Meredith anklagend, sobald ihre Gastgeberin den Raum verlassen hatte.
»Du würdest ihr am liebsten ein ganzes Dutzend Fragen auf einmal stellen!«
»Ich bin auch nur ein Mensch!«, verteidigte er sich.
»Zugegeben, es gibt ein paar Dinge, die mich interessieren. Aber längst nicht so brennend, wie du jetzt vielleicht glaubst!«
»Weißt du«, entgegnete sie ernst, »ich habe dich eigentlich nie für einen Heuchler gehalten. Warum kannst du nicht einfach zugeben, dass du genauso gerne wie ich wissen willst, wie die Geschichte weitergeht?«
»Weil ich es nicht will! Und ich sage dir auch warum!« Alan Markby beugte sich vor, und eine Locke fiel ihm in die Stirn.
»Weil Wynne nämlich vorhat, mich in diese Sache hineinzuziehen! Sie erzählt uns das alles nur aus diesem einen Grund! Sie glaubt, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist! Ich rede nicht von der Vergangenheit, zumindest nicht von der fernen Vergangenheit. Ich rede von der Zeit vor dem Tod der alten Dame. Wynne besitzt nicht die erforderlichen Beweise, um zur lokalen Polizei zu gehen, und deswegen will sie mich inoffiziell darauf
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