Ihr wisst genau, dass ihr mich liebt
Mine ihres Kugelschreibers
klicken. »Ganz genau. Während Werthers einziges Problem darin besteht, dass er
Lotte liebt, sie ihn aber nicht und abgesehen davon auch schon vergeben ist.
Er ist besessen von ihr. Ich würde sagen, Werther sollte mal aufwachen und anfangen
zu leben.«
Dan stockte der Atem. Natürlich. Marion hatte den
Nagel auf den Kopf getroffen. Jetzt sah er die Parallelen ganz deutlich. Es
war unmöglich, sie nicht zu sehen. Er war Werther und Serena war Lotte. Sie
liebte ihn nicht. Und sie war schon vergeben - er hatte gesehen, wie sie Nates
Hand gehalten hatte.
Und Dan... Dan musste endlich aufwachen und anfangen
zu leben.
Er begann, am ganzen Körper zu zittern, und stützte
den Kopf in die Hände. Er hatte Angst, gleich losheulen zu müssen.
»Ich muss zugeben, es beeindruckt mich, mit welchem
Selbstbewusstsein Sie über Figuren der Weltliteratur reden«, sagte Marion, die
sich weiter eifrig Notizen machte.
Dan sah nicht auf. Serena liebte ihn nicht. Das war
ihm jetzt völlig klar.
Marion klickte wieder ein paarmal mit ihrem
Kugelschreiber. »Daniel?«
Serenas Gesprächspartner zupfte an seinem Bart und sah
sie mit zusammengekniffenen Augen an. »In letzter Zeit irgendwelche guten
Bomane gelesen?«, fragte er.
Serena setzte sich auf und dachte angestrengt nach.
Sie wollte Eindruck machen, aber dazu musste sie ein Buch nennen, dessen
Inhalt sie zumindest vage kannte, »beschlossene Gesellschaft von Jean Paul
Sartre«, sagte sie, froh, sich an das Buch zu erinnern, das Dan ihr empfohlen
hatte.
»Das ist kein Boman, sondern ein Theaterstück. Über notorische
Nörgler in der Hölle.«
»Ich fand es witzig«, behauptete Serena, die sich
daran erinnerte, was Dan darüber gesagt hatte. »>Die Hölle, das sind die
anderem und so«, schob sie noch eilig hinterher. Das war der einzige Satz aus
dem Buch, an den sie sich erinnerte.
»Aha. Na, vielleicht sind Sie klüger als ich«, sagte
ihr Gegenüber, obwohl er sich deutlich anmerken ließ, dass er das keineswegs
glaubte. »Haben Sie es auf Französisch gelesen?«
»Mais bien sür«, log Serena.
Er notierte sich stirnrunzelnd etwas.
Serena zog sich den Bock über die Knie. Das Gespräch
lief nicht gut, obwohl sie nicht sagen konnte, woran es lag. Sie hatte den
Eindruck, der Typ hatte ihr von vornherein keine Chance gelassen und sein
Urteil schon gefällt, bevor sie auch nur das Zimmer betreten hatte. Vielleicht
war er gerade von seiner Frau verlassen worden, die Französin gewesen war oder
blond wie Serena. Oder sein Hund war gestorben.
»Womit beschäftigen Sie sich sonst so?«, fragte er
unbestimmt. Es schien ihn nicht wirklich zu interessieren.
Serena legte den Kopf schräg. »Ich habe kürzlich einen
Film gedreht«, sagte sie. »Einen ziemlich experimentellen Kurzfilm. Meinen
ersten.«
»Aha, Sie probieren also gerne neue Sachen aus. Das gefällt
mir.« Er schien sich einen Moment lang sogar richtig für Serena erwärmen zu
können. »Erzählen Sie mir mehr. Wovon handelt er?«
Serena schob ihre Hände unter die Oberschenkel, um
nicht wieder in Versuchung zu geraten, an den Nägeln zu knabbern. Wie sollte
sie den Film beschreiben, damit er verstand, worum es ging? Serena verstand ihn
ja selbst nicht so richtig und sie hatte ihn immerhin gedreht. Sie holte tief
Luft. »Hm, ja, also... die Kamera bleibt die ganze Zeit dicht an mir dran.
Zuerst fahre ich mit dem Taxi in eine ziemlich schicke Boutique auf der 14.
Straße, gehe darin herum und beschreibe, was ich sehe. Und zum Schluss probiere
ich ein Kleid an.«
Als ihr Gegenüber erneut die Stirn runzelte, wurde
Serena klar, wie dämlich sich das angehört haben musste. Sie starrte auf ihre
schwarzen, flachen Schuhe hinunter und fühlte sich wie Dorothy aus dem
»Zauberer von Oz«, die dringend wieder heim nach Kansas will.
»Na ja, es ist eben Kunst«, sagte sie schwach. »Ich
glaub, man muss ihn sehen, um zu verstehen, was ich meine.«
»Das glaube ich auch«, sagte er trocken, ohne sich
Mühe zu geben, seine Verachtung zu verbergen. »Haben Sie noch Fragen an mich?«
Serena zermarterte sich den Kopf nach einer Frage, die
dem Gespräch noch eine andere Wendung geben könnte. Du musst zeigen, was für ein vielseitig interessierter
Mensch du bist, sagte Ms Glos immer.
Sie starrte auf den Boden. Mikroskopisch kleine
Schweißperlen bildeten sich auf ihren Augenlidern. Was würde Erik an ihrer
Stelle tun? Ihr Bruder fand immer eine Lösung. »Scheiß drauf«, war
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