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Ihre Leidenschaft

Ihre Leidenschaft

Titel: Ihre Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Véronique Olmi
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sie danach gesagt?«
    » …«
    »Hat sie nicht gesagt: ›Haltet ihr mich vielleicht für die Bank von Frankreich?‹«
     
    An diesen Satz würde sich Hélène ihr Leben lang erinnern. Die Panik der Mutter. Der Name »Bank von Frankreich«, den sie zum ersten Mal hörte und trotzdem verstand, sie verstand alles, das war zu viel Geld für ein Kind wie sie, vielleicht konnte sich die Cousine ein anderes aus der Geschwisterschar aussuchen, es gab noch zwei Schwestern nach ihr und auch einen Bruder, Hélène würde ihnen Ratschläge geben und Anweisungen, würde ihnen dieses blöde Zeug erklären, das »Leder« hieß. Das Wort »Demütigung« würde sie ihnen nicht übermitteln können, das war ein unbestimmtes Gefühl, ein kleines Unbehagen, ein Stich ins Herz, der dich niemals ganz verlässt.
     
    Wie viel zahlst du für diese Frau?
     
    Hélène konnte niemals rechnen. Keiner Rechnung auf den Grund gehen, keinen Kontoauszug zu Ende lesen, sie hatte einen Buchhalter, der fast alles machte, und eine Bankangestellte, deren Liebenswürdigkeit ihr sagte, dass sie eine gute Kundin war. Es ging. Sie kam klar. Allein. Ohne Ehemann. Ohne Cousine. Ohne Vormund. Ganz allein. Und wenn sie jetzt ihren Schmerz hinausgeheult hätte, ihren Schmerz seit fünfunddreißig Jahren, hier, in diesem Hotel, hätten die Hunde sie bestimmt verstanden.

 
     
     
     
    S IE ERINNERT SICH an diesen Morgen, den letzten Morgen des Geliebten. Die letzte Verletzung, nicht schlimmer, nicht schrecklicher als die anderen, aber unerträglich, als sie sich sagte: Das kann nicht sein, das erlebe ich nicht gerade in diesem Moment, ich irre mich, das ist eine Täuschung, ein übler Scherz. Als sie sich sagte: Wenn er das wirklich tut … Wenn er wirklich dabei ist, sich anzuziehen, ohne mit mir zu sprechen, sich eilig anzuziehen, ohne wenigstens im Bad gewesen zu sein, wenn er mein Bett wirklich ohne ein Wort verlässt, ohne den Morgenkaffee mit mir zu trinken …
    Aber sie kannte ihn so genau, kannte ihn so gut, sie konnte noch so sehr tun, als würde sie schlafen, um nicht die Augen öffnen, nicht der Feigheit ins Gesicht sehen zu müssen, sie wusste, dass er sich schneller bewegte als üblich, und je tiefer sie den Kopf im Kopfkissen vergrab, desto deutlicher sah sie ihn: den hastig zugeschnallten Gürtel, die eilig in die Tasche gesteckten Schlüssel, die im Stehen angezogenen Schuhe, und als er sich neben sie kniete, um ihr auf Wiedersehen zu sagen, hatte sie innerlich gefleht: Tu das nicht! Geh nicht ohne ein Wort, eine Aufmerksamkeit, einen gemeinsamen Moment. Verlass mich nicht, wie man eine Gelegenheitsliebe verlässt, tu es nicht, du musst merken, das ich nicht schlafe, spüre es, geh nicht! Aber da er ebenso taub wie feige war, hatte er »Ich geh jetzt« gemurmelt. Und sie, wie erstarrt, ein riesiger, plötzlich im Eis gefangener Körper, sie, deren Herz zu versagen drohte, weil sie ihn so sehr liebte, sie hatte ihm noch geholfen, hatte mit gespielt schlaftrunkener Stimme gefragt: »Willst du keinen Kaffee?«
    Aber sie hatte gehört, wie die Eingangstür zuschlug, und sie war aufgesprungen, als hätte sie das Knallen der Tür aus dem Bett geschleudert. Ihrem gemeinsamen Bett. Sie hatten sich in der Nacht mehrmals geliebt. Und er war gegangen. Sie hatte ihn ohne Scham geliebt. Sie hatte sich verliebt, großzügig, vertraut, verführerisch gezeigt. Und er war gegangen. Eilig. Er hatte es eilig. Eilig weshalb? Wie kann man so schnell von einem Leben in das andere wechseln, von einer Frau zur anderen, von einem Haus zum anderen? Zum Verrücktwerden, dieser Mann, der zwischen zwei Ufern hin und her rannte, den Fluss überquerte und wieder zurückkam, von einer Seite zur anderen, ohne irgendwo anzuhalten, ohne jemals anzuhalten. Alles tat ihm weh, der Bauch, der Kopf, die Nieren, eine Krankheit jagte die andere, und immer rannte er und fühlte sich vielleicht nur wohl, wenn er die Kostüme anderer anzog, um im Theater oder im Kino zu spielen, die Epoche und das Licht zu wechseln, mit auswendig gelernten Repliken, festgelegten Orten und Vorgaben: »Lächeln! Sehr gut. Etwas direkter in die Kamera sehen … Ja … Ein bisschen weniger lächeln … Genau. Ja, so ist das Lächeln sehr gut, wir wiederholen!«
     
    »War es gut? Fandest du mich gut?«
     
    Ja, ja, ich fand dich gut. Den Bart sehr gut. Das Kostüm sehr gut. Das Lächeln sehr gut. Sehr gut fotografiert, sehr gutes Licht, sehr schöne Szene, sehr einträglich.
     
    Sehr, sehr

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