Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
zu erreichen, bestand darin, die Zivilbevölkerung anzugreifen. Im April 1998 veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, aus dem hervorging, dass die Junta über 300 000 Menschen aus dem Shan-Staat im östlichen Burma zwangsweise umgesiedelt hatte. Die Regierungstruppen waren in die Dörfer gekommen, hatten die Hütten niedergebrannt, das Vieh getötet und die Bevölkerung gezwungen, ihre neue Heimat in Zentralburma aufzusuchen. Die Vertreibung hatte zur Folge, dass sich viele Flüchtlinge über die Grenze nach Thailand absetzten. Doch es gab auch Hunderttausende von Menschen, die jetzt Flüchtlinge im eigenen Land waren. Wer versuchte, in sein altes Dorf zurückzukehren, wurde von der Tatmadaw erschossen. Die Anzahl der zwangsumgesiedelten und vertriebenen Flüchtlinge hat sich seitdem um ein Vielfaches erhöht.
Im Laufe des Jahrs 1998 veröffentlichte Amnesty International zwei weitere Berichte, welche zeigten, dass die Lage im Karen- und im Karenni-Staat genauso brisant war. In einem Bericht der Organisation Shan Women’s Action Network wurde aufgedeckt, dass die Truppen des Regimes auf systematische Art Vergewaltigungen als Teil der Kriegsführung anwandten. In einem Interview mit der
Bangkok Post
berichtete Naang Yord, eine Frau aus dem Shan-Volk, dass alle Bewohner ihres Dorfes nach Zentralburma zwangsumgesiedelt wurden. Die Erde dort war ausgetrocknet; es gab keine Möglichkeit, sich zu versorgen. Gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrer Nichte hatte sich Naang Yord in ihr altes Dorf zurückgeschlichen, um die Reisernte zu bergen. Doch sie wurden von einer burmesischen Militärpatrouille entdeckt, und der Alptraum begann.
»Sie zogen mir ein Plastiktuch über den Kopf«, berichtete Naang Yord, »und vergewaltigten mich dann abwechselnd. Ich konnte nicht sehen, was sie mit meinen beiden Mädchen machten, aber ich konnte ihre verzweifelten Schluchzer hören. Danach hörte ich zwei Schüsse.«
Die Soldaten verschwanden schließlich, und Naang Yord konnte sich befreien. Als sie sich das Plastiktuch vom Kopf zog, entdeckte sie als Erstes die Leiche ihrer Nichte. Man hatte ihr in den Knöchel geschossen, weil sie offenbar versucht hatte, von den Soldaten wegzukriechen. Danach hatte man ihr in den Kopf geschossen. Die Journalistin Vasana Chunvarakorn von der
Bangkok Post
traf sich mit Naang Yord und anderen Frauen, die Ähnliches erlebt hatten, in einem betreuten Wohnprojekt in Thailand. Der Schmerz ist in jedem Wort ihres Artikels spürbar: »Wer den Berichten der Überlebenden zuhört, wird gezwungen, seine Phantasie an eine schreckliche Grenze zu treiben. Die matten Stimmen der Frauen sind kaum mehr als ein Flüstern. Sie haben Narben an Stirn, Knöcheln und Handgelenken. Ihrer Haut scheint ein seltsamer Geruch von Angst anzuhaften, mit deutlichen Spuren unterdrückten Zornes. Kann man überhaupt bewältigen, was sie erlebt haben?«
Nach einigen Monaten im zweiten Hausarrest konnte Aung San Suu Kyi erneut erleben, dass die Junta die Tonlage änderte. Mehrere Male traf sie mit Khin Nyunt zusammen, und laut Aussage eines ihrer damaligen engen Mitarbeiter kamen sie und der abgebrühte Sicherheitschef zu einem Einvernehmen. Es wäre falsch zu behaupten, dass Suu Kyi dem Repräsentanten der Junta vertraut hätte – schon früher hatte er bewiesen, dass Verhandlungen als Strategie zur Bewahrung des Status quo und nicht zur Erzielung von Kompromissen geführt werden konnten –, aber dennoch hatte sie das Gefühl, dass er einen Weg nach vorn suchte.
Hierbei spielte sicher die unveränderte wirtschaftliche Krise eine Rolle. Nicht einmal die eigene Bevölkerung konnte das Regime versorgen. Zu Beginn der 2000er Jahre waren Teile des Landes zeitweilig von Hungersnöten geplagt. Der Staatsapparat funktionierte so mangelhaft, dass die Löhne der einfachen Armeeangehörigen nicht ausbezahlt werden konnten, während die hohen Offiziere weiterhin große Vermögen zusammenrafften. Noch Anfang 2010 erhielten die Soldaten einen Lohn, der umgerechnet nicht mehr als fünf Dollar pro Woche entsprach. Eine Tatsache, die sicher einen Teil der Übergriffe gegen die Bevölkerung der ethnischen Minderheiten erklärt – Plünderungen sind für die Soldaten in der Tatmadaw bis heute eine Strategie zum Überleben. Es gibt sogar Berichte, nach denen die Soldaten Waffen und Munition auf dem schwarzen Markt verkaufen, um sich ein paar Nebeneinkünfte zu verschaffen.
In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts hatte sich auch der
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