Ilium
wir uns weiter. Lasst das Geschirr ruhig stehen, ich räume später ab und mache den Abwasch.«
Keiner ihrer Gäste war jemals auf die Idee gekommen, Geschirr in die Hand zu nehmen oder zu spülen. Ada schaute sich erneut um, und wieder fiel ihr auf, dass keine Servitoren und Voynixe vorhanden waren.
Ada wollte dagegen protestieren, dass sie einfach so zu Bett geschickt wurden – schließlich hatten sie Odysseus’ Geschichte noch nicht gehört –, doch als sie ihre Freunde ansah – Hannahs Augen lagen vor Müdigkeit tief in den Höhlen, Daeman war betrunken und konnte kaum noch den Kopf hochhalten, Harmans Gesicht spiegelte sein Alter wider –, spürte sie, wie sehr die Erschöpfung auch ihr zu schaffen machte. Es war ein höllischer Tag gewesen. Es wurde Zeit, dass sie ins Bett kamen.
Odysseus blieb am Tisch sitzen, als die fünf den Speiseraum verließen. Savi führte die anderen vier durch Flure, die nur von den schwächer werdenden Blitzen erhellt wurden, eine Rolltreppe mit Glasdach hinauf, die sich um den Golden-Gate-Turm wand, und durch einen langen Korridor zu einer Reihe von Blasenräumen am höchsten Punkt des Nordturms. Diese Schlafräume waren nicht an der Turmspitze selbst befestigt, sondern nur an dem gläsernen Korridor, dessen Südwand aus Brückenstahl bestand, und die Schlafkabinen selbst ragten wie grüne Weintrauben gefährlich ins Leere.
Savi bot jedem von ihnen eine eigene Schlafblase an. Hannah schickte sie mit einer Handbewegung zu der ersten Tür, die vom Korridor abging. Die junge Frau zögerte am Eingang zu dem kleinen Raum. Im Innern der Schlafkabine war sogar der Boden transparent, sodass Hannah einen Schritt nach vorn machte und dann rasch wieder in die relative Stabilität des mit Teppichboden ausgelegten Korridors zurücksprang.
»Es ist absolut sicher«, sagte Savi.
»Na schön.« Hannah versuchte es noch einmal. Das Bett stand an der gegenüberliegenden Wand, und in der Nähe der Korridorwand gab es einen eigenen, abgeteilten, von den anderen Schlafblasen aus nicht einsehbaren Waschraum mit Toilette, aber überall sonst waren die gekrümmten Wände und der Fußboden so durchsichtig, dass man zweihundertfünfzig Meter weit zu den von Blitzen erhellten Steinen und dem Berghang senkrecht unter ihr hinabschauen konnte.
Hannah ging vorsichtig über den transparenten Boden und ließ sich dankbar auf dem massiven Bett nieder. Die anderen drei lachten und applaudierten. »Wenn ich nachts auf die Toilette muss, habe ich vielleicht nicht den Mut, diesen Fußboden noch einmal zu überqueren«, meinte sie.
»Du wirst dich schon daran gewöhnen, Hannah Uhr«, sagte Savi. »Du kannst die Tür mit einem akustischen Befehl öffnen und schließen. Sie ist ausschließlich auf deine Stimme eingestellt.«
»Tür zu«, sagte Hannah.
Die Tür schloss sich wie eine Irisblende. Savi setzte sie der Reihe nach in ihren Kämmerchen ab – zuerst Daeman, der ohne ersichtliche Angst vor dem leeren Raum unter seinen Füßen zu seinem Bett taumelte, dann Harman, der Savi und Ada gute Nacht wünschte, bevor er seiner Tür befahl, sich zu schließen, und zu guter Letzt Ada.
»Schlaf gut, meine Liebe«, sagte Savi. »Die Sonnenaufgänge sind hier sehr schön, und ich hoffe, du genießt den Ausblick morgen früh. Wir sehen uns beim Frühstück.«
Auf ihrem Bett lag frische, seidene Nachtwäsche. Ada betrat den Toilettenbereich, nahm eine rasche warme Dusche, trocknete sich die Haare ab, ließ ihre Kleidung auf dem Tresen neben dem Waschbecken liegen, schlüpfte in das seidene Nachthemd und ging ins Bett. Sobald sie unter den Decken lag, drehte sie das Gesicht zur Wand und schaute auf die Berggipfel und Wolkenspitzen hinaus. Das Gewitter war nach Osten weitergezogen, die Blitze erleuchteten die zurückweichenden Wolken von innen, und jetzt wurden die Gipfel und der grasbewachsene Sattel in der Nähe vom Mondlicht beschienen. Ada schaute auf die Fahrbahn und die steinernen Ruinen so tief unten hinab. Was hatte Odysseus über diesen Ort gesagt? Dass er nur von Jaguaren, Eichhörnchen und Gespenstern bewohnt war? Als sie im Mondschein auf die uralten, blassgrauen Steine hinunterschaute, glaubte Ada beinahe an die Gespenster.
An ihrer Tür ertönte ein leises Klopfen.
Ada schlüpfte aus dem Bett, ging auf Zehenspitzen über den kalten Boden und legte die Fingerspitzen an die Irisblende aus Metall. »Wer ist da?«
»Harman.«
Ada klopfte das Herz in der Brust. Sie hatte gehofft und sich insgeheim
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