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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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fünfzehn Minuten an den Felsen zerschmettert werden, aber er segelte mit aller Macht dagegen an.
    »Ich weiß deine Ehrlichkeit zu schätzen«, sagte Orphu. »Kann ich dir irgendwie helfen?«
    Mahnmut stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das große Rad und drehte das Schiff in die herankommende Welle, damit es nicht kenterte. »Jeder Vorschlag wird dankend entgegengenommen.«
    Nichts deutete darauf hin, dass sich die Staubwolke heben oder dass sich der Wind legen würde. Taue summten, zerrissenes Polymertuch flatterte, und der Bug verschwand in einer Wand aus weißem Schaum, die Mahnmut zwanzig Meter zurückschleuderte. Orphu sagte: »Schon wieder? Was tut ihr hier? Sollen wir’s aufgeben und ersaufen? Habt ihr euch in den Kopf gesetzt, zu sinken?«
    Mahnmut brauchte ein paar Sekunden, um das einzuordnen. Während er fast schwerelos über die nächste Welle ritt, dabei einen Blick über die Schulter warf und sah, dass die Tausend-Meter-Klippen wieder ein Stück näher gerückt waren, holte der Moravec den Sturm in seinen Sekundärspeicher und rief: »Die Kränke in deine Gurgel, du bellender, lästernder, unbarmherziger Hund!«
    »Nun, so arbeitet Ihr!«
    »Hängen sollst du, Köter! Hängen, du Hurensohn, du unverschämter Schreihals!«, brüllte Mahnmut über den Wind und das Brausen der Wellen hinweg, obwohl die Funkverbindung seine Worte auch übertragen haben würde, wenn er leiser gesprochen hätte. »Wir fürchten das Ertrinken weniger als du.«
    »Ich bürg ihm dafür, dass er nicht ertrinkt«, rumpelte Orphu, »auch wenn das Schiff nicht stärker wär’ als eine Nussschale, und so leck wie eine klaffende Dirne … Mahnmut? Was ist eigentlich eine ›klaffende Dirne‹?«
    »Eine menstruierende Frau.« Mahnmut drehte das Steuerrad nun mit aller Kraft nach Backbord und stemmte sich dagegen. Tonnen von Wassermassen spülten über ihn hinweg. Wegen des strudelnden roten Nebels und der höheren Wellen konnte er die Klippen nicht mehr sehen, wenn er sich umschaute, aber er spürte die Felsen in seinem Rücken.
    »Oh«, sagte Orphu. »Wie peinlich. Wo war ich?«
    »Legt das Schiff hart an den Wind«, soufflierte Mahnmut.
    »Legt das Schiff hart an den Wind! Hart an den Wind. Setzt zwei Segel auf. Wieder in See! – Legt ein.«
    »Alles verloren«, rezitierte Mahnmut. »Betet! Betet! Alles verloren! … Moment mal eben!«
    »An ›Moment mal eben‹ kann ich mich nicht erinnern«, sagte Orphu.
    »Nein, Moment mal eben. Da ist eine Lücke in den Klippen vor uns – eine Öffnung in der Küstenlinie.«
    »Groß genug, um hindurchzufahren?«
    »Wenn es die Einfahrt nach Candor Chasma ist«, sagte Mahnmut, »dann ist die Wasserfläche dahinter größer als Conamara Chaos auf Europa!«
    »Ich weiß nicht mehr, wie groß Conamara Chaos war«, gab Orphu zu.
    »Größer als alle drei großen nordamerikanischen Seen und die Hudson Bay zusammen«, sagte Mahnmut. »Candor Chasma ist im Grunde ein weiteres riesiges Binnenmeer, das sich nach Norden hin öffnet … dort müssten abertausend Quadratkilometer Manövrierraum sein. Und kein Leeufer!«
    »Ist das gut?« Orphu wollte offensichtlich nicht so schnell Hoffnung schöpfen.
    »Es ist eine Überlebenschance.« Mahnmut zog an den Tauen, damit sich die Überreste des Hauptsegels mit Wind füllten. Er wartete, bis sie die nächste Welle erklommen hatten, und wirbelte das Steuerrad herum. Das schwere Schiff drehte schwerfällig nach Steuerbord, und der Bug schwang zu der immer größer werdenden Lücke in den Küstenklippen herum. »Es ist eine Überlebenschance«, wiederholte er.
     
    Am Nachmittag des achten Tages war es vorbei. Gerade eben waren die Staubwolken noch in niedriger Höhe dahingejagt, der Wind hatte getobt, und das Meer im großen Candor-Chasma-Becken war weiß und wild gewesen; eine Stunde später, nach einem letzten blutigen Regen, war der Himmel blau, das Meer beruhigte sich, und die kleinen grünen Männchen regten sich in ihren Nischen und kamen an Deck wie Kinder, die aus einem erholsamen Schläfchen erwachten.
    Mahnmut war erschöpft. Trotz des Wiederaufladungsrinnsals aus den tragbaren Solarzellen und gelegentlichen Schüben aus den fast leeren Energiewürfeln war er organisch, mental, cybernetisch und emotional ausgelaugt.
    Die KGMs schienen die Überreste der geflickten Segel, die gespleißten Ruderseile und die anderen Reparaturen, die Mahnmut in den vergangenen drei Tagen ausgeführt hatte, staunend zur Kenntnis zu nehmen. Dann machten sie

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