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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Bronzearbeit mit silbernen Knöchelspangen sind.
    Dann schnallt sich Achilles den Brustharnisch um den breiten Brustkorb und hängt sich das Schwert über die Schulter. Das rasiermesserscharfe Schwert besteht ebenfalls aus Bronze, ist derart hochglanzpoliert, dass es jeden Spiegel in den Schatten stellt, und hat ein mit silbernen Ziernägeln beschlagenes Heft. Wenn ich in die Hocke ginge, könnte ich dieses Schwert vielleicht mit beiden Händen heben. Aber auch nur vielleicht.
    Dann nimmt er seinen riesigen, runden Schild aus zwei Schichten Bronze und zwei Schichten Zinn – zu dieser Zeit ein seltenes Metall –, die durch eine Goldschicht getrennt sind. Dieser Schild ist ein poliertes, glänzendes Kunstwerk und so berühmt, dass Homer ihm einen kompletten Gesang der Ilias gewidmet hat; er war überdies das Thema vieler einzigartiger Gedichte, so auch meines Lieblingsgedichts von Robert von Ranke-Graves. Und überraschenderweise ist man nicht enttäuscht, wenn man es realiter vor sich sieht. Es reicht wohl, wenn ich sage, dass die kunstvoll gestaltete Außenseite unter anderem aus konzentrischen Bilderkreisen besteht, die das elementare Weltbild in weiten Bereichen dieser griechischen Antike zusammenfassen, angefangen mit dem Fluss Okeanos am äußeren Rand, nach innen hin gefolgt von erstaunlichen Bildern der Stadt im Frieden und der Stadt im Krieg, und gekrönt von wunderschönen Bildern der Erde, des Meeres, der Sonne, des Mondes und der Sterne genau im Mittelpunkt. Der Schild ist so hochglanzpoliert, dass er selbst im Halbdunkel dieses Zeltes wie ein Sonnenspiegel glänzt.
    Schließlich setzt Achilles seinen robusten Helm auf, der ihm bis über die Augenbrauen reicht. Der Legende zufolge hat der Feuergott Hephaistos persönlich den Rosshaar-Helmbusch daraufgesetzt – in diesem Krieg tragen nicht nur die Trojaner Kriegeshelme mit hohem Kamm, sondern auch die Achäer –, und tatsächlich schimmern die hohen, goldenen Büschel auf dem Kamm des Helms wie Flammen bei jedem Schritt, den Achilles tut.
    Nun fehlt nur noch der Speer, und Achilles bewegt sich in seiner Montur wie ein Linebacker der National Football League, der prüfen will, ob seine Schulterpolster richtig sitzen. Der Männertöter wirbelt auf den Fersen herum, um festzustellen, ob seine Beinschienen eng genug sind und ob sein Brustharnisch stramm genug sitzt, aber nicht so stramm, dass er sich darin nicht mühelos drehen und wenden und ausweichen und zustoßen kann. Dann läuft er ein paar Schritte und vergewissert sich, dass alles von den hoch geschnürten Sandalen bis zum Helm an Ort und Stelle bleibt. Schließlich hebt Achilles seinen Schild, greift mit der anderen Hand über die Schulter und zückt sein Schwert, alles mit einer einzigen, fließenden Bewegung, die den Anschein erweckt, als täte er das schon seit seiner Geburt.
    Er steckt das Schwert wieder in die Scheide und sagt: »Ich bin bereit, Hockenberry.«
    Die Hauptleute folgen uns, als ich Achilles wieder zum Strand hinunter führe, wo ich Orphu zurückgelassen habe. Die Wachen haben Abstand von dem riesigen, krebsartigen Geschöpf gehalten, das dank meines Schwebegeschirrs immer noch in der Luft steht, was der wachsenden Menge von Soldaten nicht verborgen geblieben ist. Ich habe beschlossen, hier einen kleinen Zaubertrick zu veranstalten, um Odysseus, Diomedes und die anderen Anführer zu beeindrucken und mir zugleich ein wenig mehr Respekt zu verschaffen. Außerdem weiß ich, dass diese anderen Achäer, die nicht so blind vor Wut sind wie Achilles, kaum sehr begeistert darüber sein dürften, in den Kampf gegen die unsterblichen Götter zu ziehen, die sie verehrt und denen sie geopfert und gehorcht haben, seit sie denken können. Theoretisch müsste alles, was ich jetzt tun kann, um Achilles’ Herrschaft über seine neue Armee zu festigen, hilfreich für uns beide sein.
    »Schließ die Hand um meinen Unterarm, Sohn des Peleus«, sage ich leise. Als Achilles gehorcht, drehe ich mit meiner freien Hand das Medaillon, und weg sind wir.
     
    Als Treffpunkt hatte mir Helena den Vorraum zum Gemach des kleinen Skamandrios in Hektors Haus genannt. Da ich bereits dort gewesen bin, fällt es mir nicht schwer, ihn mir bildlich vorzustellen, und wir qten in einen leeren Raum. Wir sind ein paar Minuten zu früh dran – der Wachwechsel auf den Mauern Iliums findet erst in vier oder fünf Minuten statt. In diesem Vorraum gibt es ein Fenster, und wir können beide sehen, dass wir im Zentrum Iliums

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