Ilium
schwang sich tief hinunter und klaubte eine Albino-Echse aus dem Schleim. Die Augen der Echse waren ausgestochen.
»Savi«, sagte Harman.
»Nicht alle müssen sterben, nein«, rief Caliban, weinte und knirschte mit den Zähnen. »Manche fliehen in die Ferne, manche tauchen in die Tiefe, manche klettern auf Bäume; diejenigen, die Ihm ausgeliefert sind – die sind Ihm am liebsten, wenn sie … wenn sie … nun, versuche nie zweimal dasselbe!«
»Erschieß es, Savi!«, sagte Daeman, nicht über Funk, sondern laut und deutlich. Seine Stimme hallte in der Grotte wider.
Savi biss sich auf die Lippe, hob jedoch die Waffe.
»Sieh!«, schrie Caliban. »Liegt flach am Boden und liebt Setebos! Beißt die Zähne zusammen, bis sie durch seine Oberlippe aufeinander treffen.«
Caliban ließ die blinde Echse los, die in den Teich unten sprang, aber auf ihrem Weg ins Wasser Savis Felsen streifte.
»Seht Seine Taten als Beweis!«, schrie Caliban und sprang.
Savi schoss, und mehrere hundert mit Widerhaken versehene Glasflechettes trafen Caliban in die Brust und zerrissen sein Fleisch wie Papier. Caliban brüllte erneut auf, landete auf Savis Felsen, schlang seine unmöglich langen Arme um sie und biss ihr mit einer einzigen kraftvollen Bewegung seiner Kiefer den Hals durch. Savi hatte nicht einmal Zeit zu schreien, bevor sie starb. Ihr Hals war beinahe durchtrennt, ihr Körper erschlaffte in den Armen des Monsters, die Schusswaffe entglitt ihren leblosen Fingern, fiel in den Sumpf und verschwand.
Aus vielen Wunden blutend, hob Caliban seine blutigen Kiefer und seine gelben Augen zu den Wänden der Grotte und brüllte ein weiteres Mal. Dann tauchte das Monster mit Savis Leiche unterm Arm ins blubbernde Wasser und verschwand unter der Schleimschicht.
47
Ardis Hall
Nachdem Ada am Morgen von Hannahs Erstem Zwanziger mit ihrer jungen Freundin zum Faxknoten gefahren war und zugesehen hatte, wie sie von zwei Servitoren und einem Voynix in den Pavillon begleitet wurde, begann sie sich ernsthafte Sorgen zu machen.
Am zweiten Tag, nachdem Harman mit Daeman und Savi abgeflogen war, hatte sie sich Sorgen um Harman zu machen begonnen. Sie rechnete eigentlich nicht damit, dass er sie wie versprochen mit einem Raumschiff abholen kommen würde – das war eine kindliche Fantasievorstellung, an die ihrer Ansicht nach nicht einmal Harman selbst glaubte –, aber sie ging davon aus, dass die drei in ein paar Tagen mit dem Sonie zurückkommen würden. Nach vier Tagen verwandelte sich ihre Besorgnis in Zorn. Nach einer Woche wich dieser wieder der Sorge – einer tieferen, nagenderen Sorge, als sie es je erlebt hatte –, und sie begann, schlecht zu schlafen. Nach zwei Wochen wusste Ada nicht mehr, was sie denken sollte.
Als sie am vierzehnten Morgen nach der Abreise des Trios auch durch Freunde, die sie besuchen kamen – und natürlich kamen jetzt Aberhunderte von Menschen nach Ardis Hall –, noch immer nichts von den dreien gehört hatte, ließ Ada sich von einem Voynix mit der Karriole zum Faxportal bringen und begab sich nach kurzem Zögern – was konnte am Faxen schon schädlich sein? – nach Paris-Krater, wo sie Daemans Mutter besuchte.
Die Mutter des jungen Mannes war völlig außer sich vor Sorge. Daeman blieb manchmal wochenlang auf Partys – ein Jahr vor seinem Ersten Zwanziger war er sogar einen vollen Monat auf Schmetterlingsjagd gegangen –, aber er sagte seiner Mutter immer Bescheid, wo er war und wann er wieder heimkommen würde. Doch in den vergangenen beiden Wochen – nichts.
»Ich würde mir keine Sorgen machen«, tröstete Ada Daemans Mutter und tätschelte ihr den Arm. »Unser Freund Harman wird schon auf ihn aufpassen, und die Frau, die wir kennen gelernt haben – Savi –, wird auf sie beide aufpassen.« Diese Worte beruhigten Daemans Mutter, aber Ada machte sich danach mehr Sorgen denn je.
Jetzt, zwei Wochen nach ihrem Besuch in Paris-Krater, vermisste sie Hannah bereits. Sie wusste jedoch, dass das Mädchen wohlbehalten in der Klinik sein musste. Während sie in der Droschke über die Hügel heimfuhr, merkte Ada, wie sie sich in ihren Gedanken verlor.
Ardis Hall hatte während des letzten Monats eine wahre Invasion erlebt. Von ihrem Abstecher nach Paris-Krater vor zwei Wochen war Ada nachts zurückgekommen, sodass sie nun, bei dieser morgendlichen Fahrt, die Veränderungen zum ersten Mal in den vergangenen vier Wochen von der hoch gelegenen Straße aus sah, die zum Herrenhaus führte, und jetzt
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