Illusion - das Zeichen der Nacht
irgendwas schiefgegangen sein.«
»Du redest immer von ›sie‹.« Jana sah Yadia durchdringend an. »Wer war bei Alex, Yadia? War da noch jemand?«
Yadia ließ sich mit der Antwort unendlich viel Zeit. »Dein Bruder David«, flüsterte er schließlich. »Ich habe ihn benutzt, um Alex in die Villa in Vicenza zu locken. Ich wusste keinen anderen Ausweg mehr – Alex hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, das verfluchte Buch zu suchen.«
Jana nickte bedrückt. Yadia hatte recht: Alex hatte alles getan, um sich aus der ganzen Geschichte vom Buch der Schöpfung und dessen gewaltiger Macht herauszuhalten. Sie hingegen war in alle Fallen getappt, die Argo und Yadia ihr gestellt hatten. Nachdem sie das Video gesehen hatte, in dem der falsche Armand wiederauferstand, hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, das alte Buch der Kurilen zu finden. Und sie hatte sich sogar mit Alex gestritten, weil der sich geweigert hatte, ihr zu helfen.
Er hatte die Fähigkeiten der alten Kurilen geerbt. Wahrscheinlich hatte er in seinen Visionen etwas Schreckliches gesehen, es ihr aber nicht erzählt, um sie nicht zu beunruhigen. Vermutlich hatten sie ihm gezeigt, was das Buch mit ihm machen konnte: ihn verschlingen, ihn in ein Ungeheuer verwandeln …
Und jetzt hatte sie ihn für immer verloren.
Sie blickte erneut auf den Jungen, der von den Iriden abstammte. Sie konnte nicht anders, als ihm die Schuld für alles, was passiert war, zu geben.
»Du hast lange durchgehalten, aber jetzt ist Schluss«, sagte sie kalt. »Das Gift hat begonnen zu wirken. Zeig mir dein wahres Gesicht, Yadia! Das, was ich sehe, ist bloß eine weitere dumme Maske, das weiß ich.«
Jedes einzelne von Janas Worten schüttelte den Körper des Jungen wie ein elektrischer Schlag. In seinen Augen war Panik zu lesen. Er rang immer verzweifelter nach Luft und stieß ein langes metallisches Röcheln aus, als hätte seine Lunge sich in einen alten, verrosteten Blasebalg verwandelt.
Seine Lippen bewegten sich, aber es war kein Wort zu hören. Jana beobachtete die schwache Vibration, die Yadias Gesicht verschwimmen ließ. Das Gift der Agmar war dabei, ihn zu besiegen.
Wieder machte er den Mund auf und versuchte, etwas zu sagen. Jana rückte näher an ihn heran, um ihn zu verstehen.
»Ich … werde dir … mein Gesicht … nicht zeigen, Jana«, stieß er hervor. »Tut mir leid, das … geht nicht … Lieber … sterbe ich.«
Jana runzelte die Stirn. Sie war fast beeindruckt. So viel Mut hatte sie ihrem Gefangenen nicht zugetraut. Einerseits hätte sie ihn am liebsten eigenhändig erwürgt, andererseits wusste sie, dass sie der Wut und der Enttäuschung, die sie in diesem Moment empfand, nicht erliegen durfte.
»Keine Bange, ich lasse nicht zu, dass du stirbst«, erwiderte sie trocken. »Es gibt andere Wege, einem Iriden seine Geheimnisse zu entreißen.«
»Andere Wege?«
Ohne zu antworten, strich Jana ihm mit dem rechten Zeigefinger über die Stirn und löschte das magische Zeichen, das sie vorhin gezeichnet hatte.
Die goldene Schlange verschwand mit einem spitzen Zischen, das vom Wind davongetragen wurde und im Blätterrauschen eines nahen Baumes aufging.
Yadia ließ sich erschöpft zu Boden sinken. »Danke.«
»Freu dich nicht zu früh. Die Geheimnisse eines Iriden sind in Sicherheit, solange er sein wahres Gesicht verbergen kann, aber ich kenne jemanden, der alle deine Masken zerstören kann.«
»Das kann niemand«, widersprach Yadia mit einem schwachen Lächeln. »Nicht einmal du hast es geschafft.«
»Aber sie schon. Und sie wird es auch tun. Für Alex. Los, Yadia, steh auf. Ich bringe dich zu Nieve.«
Kapitel 4
V or dem Eingang zum Palast der Wächter blieb Jana stehen, um Luft zu holen. Ihr Atem ging unregelmäßig, sie hatte Seitenstechen und einen unangenehmen Geschmack nach Metall im Mund. Sie hatten den ganzen Weg vom Ghetto im Eiltempo zurückgelegt und jetzt konnte sie nicht mehr. Um das Gebäude der Stiftung zu verlassen, ohne Verdacht zu erregen, hatte sie die Frau am Empfang in tiefen Schlaf fallen lassen müssen, und damit war ihre magische Energie weitgehend erschöpft. Und außerdem hatte sie Yadia auf der ganzen Strecke im Auge behalten müssen, denn obwohl er noch unter dem Einfluss des Agmar-Gifts stand, hatte er zwei Mal einen Fluchtversuch unternommen. Nur seine Schwäche und Janas eiserne Konzentration hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Als Jana an der Tür klingelte, ging diese zum Glück gleich auf. Im
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