Illusion - das Zeichen der Nacht
gestarrt, dass sie es erst jetzt bemerkte. Sie stand von ihrem Hocker am Frisiertisch auf und knipste die Nachttischlampe an. Dann kehrte sie zu ihrem Platz zurück.
Als sie sich mit den Ellbogen auf das venezianische Möbel stützte, fiel ihr Blick auf die oberste Schublade. Dort hatte sie den Sarasvati verwahrt.
Langsam zog sie die Schublade auf und griff nach dem magischen Saphir, der ihrer Mutter gehört hatte. Im Gegenlicht schimmerte er so blau wie eh und je. Es war wirklich kaum zu glauben, dass da drin mehrere Monate lang die drei Töchter von Pertinax festgesteckt hatten.
Sie hätte sie nicht freilassen dürfen. Wo sie jetzt wohl waren? Urd und ihre Schwestern konnten ihr gefährlich werden, das wusste Jana, sicher würden sie alles daransetzen, sich für das, was sie ihnen angetan hatte, zu rächen. Außerdem waren sie zu dem Zeitpunkt, als die Magie der Medu sich auf die ganze Welt verteilt hatte, in ihrem steinernen Gefängnis abgeschirmt gewesen, und das bedeutete, ihre magischen Fähigkeiten hatten nicht gelitten. Jetzt waren sie wahrscheinlich die Wesen auf der Erde, die die Magie mit Abstand am besten beherrschten. Wo hatte sie nur ihren Kopf gehabt, als sie sie freiließ?
Wütend auf sich selbst schüttelte Jana den Kopf. Ihr Verhalten war verantwortungslos gewesen.
Ihre Augen hefteten sich wieder auf den blau schimmernden Saphir. Dieser Stein diente unter anderem dazu, alte kurilische Bücher zu entziffern. Und Davids Theorie zufolge besaß sie ein sehr wertvolles Buch, das Buch des Lebens, von dem in den Legenden die Rede war. Und das vielleicht gleichzeitig die Hälfte des Buchs der Schöpfung war. Aber wenn sie es wirklich hatte, wo war es dann? Warum konnte sie es nicht wahrnehmen? Und vor allem, was sollte sie tun, um es zu finden und zu lesen?
Zu viele Fragen ohne Antworten.
Ein Versuch kostete nichts, also verbrachte sie die nächste halbe Stunde damit, mit dem Saphir in der Hand durch ihr Zimmer zu gehen und alle ihre Sachen durch ihn zu betrachten. Sie richtete den blauen Schimmer des Steins sogar auf den alten Spiegel des Frisiertischs und betrachtete ihr eigenes Abbild. Aber da war nichts; sie konnte nicht einmal die einfachste Vision auslösen. Vielleicht lag es ja daran, dass sie sich mit ihren magischen Kräften in den letzten Stunden völlig verausgabt hatte.
Oder vielleicht gab es hier drin ganz einfach nichts zu sehen.
Noch ein Schlag ins Wasser. Jana legte den Sarasvati auf den Frisiertisch und hob den Blick, um sich in dem schummrigen Spiegel zu betrachten. Die polierte Glasscheibe warf vor allem das blaue Leuchten des Steins zurück, dagegen war ihr eigenes Spiegelbild nur undeutlich zu erkennen.
Sie griff nach dem Handy und sah nach der Uhrzeit. 0:25. Jetzt war es schon viele Stunden her, seit die Wächter nach Vicenza aufgebrochen waren, wo sie Alex’ verlassenen Körper zu finden hofften, und sie hatte sie nicht zurückkommen hören. Sie war zwar todmüde, aber sie wusste genau, dass sie kein Auge zumachen würde, bevor sie nicht mit Nieve oder Corvino gesprochen hatte. Nicht dass sie große Erwartungen in Bezug auf das Ergebnis dieser Expedition hatte; aber trotzdem musste sie wissen, wie alles gelaufen war. Die Wächter besaßen Fähigkeiten, über die kein gewöhnlicher Mensch verfügte. Möglicherweise hatten sie in Dajedis alter Geheimbibliothek einen entscheidenden Hinweis dazu entdeckt, was mit Alex geschehen war.
Während der nächsten halben Stunde spielte sie hin und wieder mit dem Sarasvati herum und sah alle paar Sekunden auf das dunkle Display ihres Telefons. Als die Uhr einer nahen Kirche eins schlug, gestand sie sich ein, dass es sinnlos war, noch länger zu warten. Am besten ging sie ins Bett. Sie war fix und fertig, konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Sie musste sich ausschlafen. Wenn es Neuigkeiten gab, würde Nieve ihr sicher Bescheid sagen.
Sie setzte sich aufs Bett und begann, sich auszuziehen. Als sie die Jeans abstreifte, fiel ihr Blick auf das Silberkettchen, das sie um den Knöchel trug.
Mit einem Mal schlug ihr Herz schneller. Das Kettchen hatte sie schon öfter benutzt, um Alex aufzuspüren. Wenn sie genug Mut aufbrachte, sich auf das Bild des Nosferatu zu konzentrieren, würde es ihr vielleicht wieder gelingen. Vielleicht konnte sie ihn damit tatsächlich anlocken.
Jana bückte sich und tastete mit zittrigen Fingern nach dem Schmuck, fühlte das kühle Metall auf ihrer Haut. Sie schloss die Augen und rief sich das Wesen aus
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